Thomas Voigt
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Wiener Blut

 

Cast  Hilde , , , , , , , , ,

Recorded  1965
Producer 
CD Release Producer, Liner Notes 
CD Eurodisc /

 

 

Robert Stolz und Wiener Blut

Gar nicht so lang ist’s her, dass das, was wir heute „Klassik“ nennen, im besten Sinne Unterhaltungsmusik war: Neue Stücke, die auf der Straße gepfiffen wurden. So war’s bei den Walzern von Johann Strauß und noch bei den Opern von Giacomo Puccini. Die Trennung von E- und U-Musik gibt es erst seit achtzig, neunzig Jahren.

Eine Trennung, die sich im Laufe des 20. Jahrhunderts immer stärker herausbildete, und die nur von ganz wenigen souverän überwunden wurde. Unter diesen Wenigen waren zwei, die man auf den ersten Blick kaum zusammentun würde: Leonard Bernstein und Robert Stolz. Beide waren Vollblut-Musiker, denen alles Ideologische in musikalischen Dingen zuwider war; beide waren populär, ohne sich hemmungslos dem Massengeschmack anzupassen. Und beide waren zentrale Bindeglieder in der Musikgeschichte ihrer Zeit.

Robert Stolz (1880 – 1975) ist das Bindeglied zwischen Johann Strauß und Udo Jürgens. Mit ihm, der 1899 noch den Walzerkönig kennenlernte und 1905 die Uraufführungsproduktion von Lehárs Lustiger Witwe dirigierte, endet die große Tradition der Wiener Operette – und beginnt die Ära des Schlagers. „Ich möchte Lieder schreiben können so wie du“, lautet die klingende Hommage von Udo Jürgens an Robert Stolz. Für ihn machte er auch eine Ausnahme von seiner Regel, nur eigene Lieder zu singen und trat nach dem Tod des Komponisten auch bei Robert-Stolz-Gedenkshows auf, die Marcel Prawy in Wien inszenierte.

Es gibt etliche Komponisten, die sich mühelos jedem Zeitgeist anpassen; doch nur wenige, die in ihrer Kreativität so vielseitig waren wie Stolz. Mehr als 2000 Lieder, circa 100 Filmmusiken und 60 Operetten stammen aus seiner Feder. Ob Wiener Walzer und Berliner Filmschlager, Tango und Foxtrott, Blues und Beat – Stolz beherrschte die ganze Skala. Manche seiner Stücke sind einem derart geläufig, dass man sie für Volkslieder hält. „Hab gar net gewusst, dass des auch von dir ist!“, meinte Karl Böhm zu Stolz, als er erfuhr, wer „Auf der Heide blüh’n die letzten Rosen“ geschrieben hat.

„Die ganze Welt ist himmelblau“, lautet eines seiner berühmtesten Lieder,  eine Einlage für Benatzkys Operette Im Weißen Rössl. Und so lautet auch der Titel seiner Autobiographie. Also ein Lebensbericht, der ähnlich harmonisch klingt wie der Evergreen? Irrtum. Stolz hat neben rauschenden Erfolgen auch immer wieder schlimme Niederlagen erlebt. Und so beschreibt er nicht nur seine Begegnungen mit Brahms, Strauß, Karl Kraus, Albert Einstein und Marilyn Monroe, sondern auch seine Sitzungen bei Sigmund Freud. Überfallartige Angstzustände gehörten genauso zu seinem Leben wie der zermürbende Kampf mit einer raffgierigen Ex-Frau, die ihn fast in den finanziellen Ruin getrieben hätte. Der schlimmste Tag seines Lebens war der 2. Dezember 1939. Er, der von 1934 bis zum „Anschluß“ Österreichs etliche Verfolgte in seinem Wagen über die deutsch-österreichische Grenze geschmuggelt hatte, war vor den Nazis nach Paris geflohen. Mühsam konnte er sich dort über Wasser halten, bis er von der französischen Regierung als „Feindlicher Ausländer“ interniert wurde. Mit 70.000 Menschen im Fußballstadion Colombes zusammengepfercht, lag er mit einer doppelseitigen Lungenentzündung im Fieberwahn – und wurde in letzter Minute von einer Frau gerettet, die schon etlichen Flüchtlingen geholfen hatte. Sie kaufte ihn für 20.000 Fran frei und pflegte ihn gesund. Ihren bürgerlichen Namen, Yvonne Louise Ulrich, kennt kaum jemand; schon damals wurde sie von ihren Freunden nur „Einzi“ genannt. Der Rest ist eine Liebesgeschichte, die jahrzehntelang in allen Frauen- und Herzenszeitschriften nachzulesen war. 35 Jahre, bis zum Tod von Robert Stolz im Juni 1975, warem die beiden unzertrennlich.

Sechs Jahre, von 1940-46, lebte Stolz mit seiner „Einzi“ in den USA und wurde dort als „Botschafter der Wiener Musik“ gefeiert – als Komponist genauso wie als Dirigent der klassischen Wiener Operette. Als Botschafter waren die beiden auch 1963 in Israel tätig, als sie entgegen ausdrücklicher Warnungen von offizieller Seite durchsetzten, dass die Wiener Lieder der Robert-Stolz-Konzerte in deutscher Sprache gesungen wurden. Der befürchtete Skandal blieb aus: Viele Zuhörer weinten, das Eis war gebrochen. Seitdem durfte an israelischen Bühnen deutsch gesprochen und gesungen werden. Shimon Peres, damals im Kultusministerium tätig und später Außenminister Israels, sagt in seiner Dankesrede: „Sie haben unserem Volk seine Kindheit wiedergegeben, seine Jugend, seine Vergangenheit, seine Wurzeln.“

Stolz war damals 83 und war als Dirigent mindestens so aktiv wie als Komponist. Er dirigierte Konzerte in aller Welt und spielte für das damals neu gegründete Klassik-Label „Eurodisc“ einen umfassenden Katalog Wiener Musik ein, Walzer, Polkas, Märsche, und natürlich auch Operetten. Seine Fledermaus-Aufnahme, die 1964, 65 Jahre nach seiner Begegnung mit Johann Strauß, im Wiener Musikvereinssaal entstand, bleibt für mich der Inbegriff des Wiener Musikantentums: ungekünstelt, bodenständig, mitreißend. Der Plattenproduzent Fritz Ganss, der 1962 von der Electrola zur Eurodisc gewechselt war, konnte ihm damals erstklassige Sänger zur Verfügung stellen, darunter Rudolf Schock als Eisenstein und Wilma Lipp als Rosalinde. Beide sind auch in der vorliegenden Aufnahme von Wiener Blut zu hören, die ein Jahr später entstand. Schock, damals wohl der populärste deutsche Tenor, war quasi das sängerische Fundament, auf das Ganss seinen Eurodisc-Katalog baute: Schon sein Name und sein Bild auf dem Cover garantierten gute Verkaufszahlen.

Bei den Aufnahmesitzungen der Fledermaus hatte Stolz bei Wilma Lipp vorsichtig angefragt, ob sie ihm zuliebe die Soubretten-Partie der Pepi in Wiener Blut übernehmen würde – wohl wissend, dass sie in diesem Werk an der Wiener Volksoper immer die „erste“ Sopranpartie sang, nämlich die Gräfin. Diese allerdings sollte in der Aufnahme Hilde Güden singen, die nicht nur als Mozart- und Strauss-Sängerin international renommiert war, sondern auch als Interpretin Wiener Operetten. Und da Wilma Lipp ihre berühmte Kollegin sehr schätzte (nicht zuletzt aus zahllosen gemeinsamen Fledermäusen und Zauberflöten), wechselte sie dieses eine mal von der Gräfin zur Probiermamsell – mit viel Gusto und viel Stimme. Dritte im Wiener Dreimäderlhaus war eine „Zugereiste“ aus Dortmund: Margit Schramm, die später in etlichen Platten- und Fernsehproduktion Schocks bevorzugte Partnerin wurde. Auch die Buffo-Partien waren mit Ferry Gruber, Erich Kunz und Benno Kusche vorzüglich besetzt (bewunderswert, mit welcher Konsequenz Kusche auch im Gesang den sächsischen Tonfall des Premierministers durchhält). Und dass Ganss die Dialogszenen beim Ball mit Walzermusik unterlegte, ist nur eines von vielen Details, die zeigen, mit welcher Sorgfalt damals Operetten-Aufnahmen produziert wurden.

Thomas Voigt  C 2007