Thomas Voigt
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Verdi auf Deutsch

 

Repertoire (Highlights 1954-59, complete 1963), (1959), (1958), (1960), (1973), (1953-55), Große -Szenen (1953-61)

Singers  Elisabeth , Erika , Rudolf , , , , , , Karl-Christian Kohn, , , , , , , , , , , etrich Fischer-eskau, ,
Conductors , , Horst , ,

Recorded 1953-73
Liner Notes 
CD Release Classics (10 CDs), 2012

 

„Das Weib ist mobil“

Wenn ich Jonas Kaufmann heute die deutschen Übersetzungen von Verdi- und Puccini-Arien vorsinge, schüttelt er lachend den Kopf: „Das ist jetzt nicht Dein Ernst oder?“ Kaufmann kam 1969 in München zur Welt, da war die Oper längst internationalisiert. Schon 1965 hatte es an der Bayerischen Staatsoper die erste Traviata in Originalsprache gegeben (mit Teresa Stratas, Fritz Wunderlich und Hermann Prey in den Hauptrollen), 1967 den ersten originalen Macbeth – an den sich Anja Silja heute noch mit Lachen erinnert. Da sie kein Zungen-R beherrschte, wurde das Vorlesen des Macbeth-Briefes für die Berlinerin zum Härtetest. Sie gab sich redlich Mühe, doch Regisseur Otto Schenk ließ sie immer wieder von vorne beginnen, bis er schließlich seufzte: „Du liest das so, als würdest Du sagen wollen: Schreibt mir doch dieser Idiot uff Italjänisch! Det kann ick doch jar nich lesen!“

Zwanzig Jahre später kannte man „Verdi auf Deutsch“ nur noch von Platten, wenn überhaupt. So konnte es kommen, dass auf einer Opern-CD, bei der man dem älteren Publikum auch die deutschen Übersetzungen der Arien-Titel mitliefern wollte, beim Tenor-Hit „La donna e mobile“ in Klammern zu lesen stand: „Das Weib ist mobil.“ Älteren Operngängern wäre das nicht passiert. Die wussten natürlich, dass es „O wie so trügerisch“ heißen musste. Auch für mich gehörten diese Texte zum Alltag, ich war mit den Electrola-Aufnahmen der 1950er Jahre aufgewachsen und verteidigte sie leidenschaftlich gegen die Globalisierung im Opern- und Platten-Business. Vor allem die Verdi-Aufnahmen mit Josef Metternich. Sicher waren Leonard Warren, Giuseppe Taddei, Ettore Bastianini und Tito Gobbi großartige Sänger – aber für meine Begriffe klang keiner in den dramatischen Baritonpartien Verdis so aufregend wie „Schmetternich“, der Kölsche Jung, der schon mit 19 Jahren Aufsehen erregte, als er Rigolettos Arie „Feile Sklaven“ im Rundfunk sang. Er war in jeder Hinsicht ein Sonderfall, ähnlich wie Titta Ruffo und Gino Becchi vor ihm. Metternich war der einzige Deutsche, der in den 1950er Jahren das Privileg genoss, an der Metropolitan Opera Verdi singen zu dürfen. Rudolf Bing, der damalige Boss der Met, war von der Stimme des Kölners hellauf begeistert und scheute auch nicht vor Tricks zurück, um ihn im italienischen Fach neben Leonard Warren durchzusetzen.

Damit war auch der Weg für Leonie Rysanek geebnet, deren Met-Debüt ursprünglich als Aida geplant war und die dann die Rolle der Lady Macbeth übernahm, nachdem sich Bing mit der Callas zerstritten hatte. Hört man heute Rysanek und Metternich im Aida-Querschnitt von 1955, kann man nur sagen: Das waren noch Zeiten! Da konnte Electrola-Produzent Fritz Ganss aus dem Vollen der deutschen Ensembles schöpfen: Elisabeth Grümmer, die unvergessene Eva, Elsa und Agathe gehörte ebenso zu seinem Team wie Gottlob Frick, der König der Bässe, und Erika Köth, die wunderbare Zerbinetta und Sophie. Sein stärkstes „Zugpferd“ war freilich Rudolf Schock, der durch den Richard-Tauber-Film Du bist die Welt für mich (1952) über Nacht vom begehrten Opernsänger zum Popstar geworden war. Mit der Verve und Spontaneität seines Singens und mit einer Charakterisierungs- und Artikulationskunst, die jedem Schauspieler Ehre machen würde, begeisterte er die Massen.

Als Ganss und Schock 1962 die Electrola verließen, um für Eurodisc, das neue Klassik-Label von Bertelsmann, einen Opern- und Operetten-Katalog aufzubauen, war die Internationalisierung der Oper schon in vollem Gange. Deren größte Triebfeder war Herbert von Karajan: Als Direktor der Wiener Staatsoper schuf er eine Kooperationsachse mit der Mailänder Scala: fortan wurde das italienische Repertoire in Wien ausschließlich in Originalsprache gegeben, und nicht wenige Wiener Publikumslieblinge wurden durch die Stars der Scala verdrängt. Entsprechend teilte sich das Publikum in zwei Lager, die sich heftig bekriegten. Die einen bejubelten den „Anschluß“ an die internationale Opernwelt, den anderen tat es in der Seele weh mitansehen zu müssen, wie die Wiener Oper ihr Gesicht verlor und zur „Allerweltsoper“ wurde. Auf diesen Konflikt spielte Walter Berry an, als er 1960 in Karajans Silvester-Fledermaus den Stargast Giuseppe di Stefano mit den Worten ankündigte: „Er singt jetzt ein neapolitanisches Volkslied für uns – auf italienisch!

Parallel zum Opernbetrieb vollzog sich die Internationalisierung im Platten-Business. Verdi- und Puccini-Aufnahmen in deutschen, französischen oder englischen Übersetzungen gehörten ab Mitte der 1960er Jahre zu den Auslaufmodellen. Vor diesem Hintergrund wirkt es fast anachronistisch, dass die EMI-Electrola noch Anfang der 1970er Jahre eine kleine Serie deutschsprachiger Opern-Querschnitte nachlegte, darunter Verdis Don Carlos mit Nicolai Gedda, Edda Moser, Brigitte Fassbaender, Dietrich Fischer-Dieskau und Kurt Moll. Heute mag man vielleicht bedauern, dass man bei dieser Spitzenbesetzung nicht die Originalsprache verwendete; aber man muss bedenken, dass Helmut Storjohann, Ganss’ Nachfolger als Chefproduzent der Electrola, damals auf die Bedürfnisse eines Publikums reagierte, das die Übersetzungen noch im Ohr hatte und nostalgische Erinnerungen an gute alte Zeiten pflegen wollte. Und hat nicht das Kapitel „Verdi auf Deutsch“ mit dieser Aufnahme einen würdigen Abschluß gefunden?

Thomas Voigt © 2012