Thomas Voigt
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Michael Volle – A Portrait

 

Repertoire  Messiah, Dettinger Te Deum, , Le Nozze di , , , e von Nürnberg, Don Carlo, , e Lustige Witwe, Gasparone; Lieder von
Orchestra, Conductor  Münchner Rundfunkorchester, Ralf Weikert

Recording  2012
Producer  Torsten Schreier
Sound Engineer  Clemens Kamp
Liner Notes 
CD  Klassik

 

Viele Facetten

Michael Volle im Gespräch mit Thomas Voigt

Von Händel bis Lehár – diese Scala hat man eher bei Compilations wie Best of- und Greatest Hits, aber selten bei einem Solo-Recital.

Da dies mein erstes Portrait-Album ist, wollte ich eine möglichst breite Palette bieten: Oper, Konzert und Lied. Und auch Operette, ich liebe dieses Genre! Den Danilo in der Lustigen Witwe habe ich in Zürich und in Paris auf der Bühne gesungen und jede Sekunde genossen. Der gilt zwar als Tenorpartie, aber er liegt ja Gott sei Dank so tief, dass er auch für Baritone erreichbar ist. Auf Millöckers „Dunkelrote Rosen“ bin ich durch eine Aufnahme mit Josef Metternich gekommen, der lange Zeit mein Lehrer war, von Meisterkursen Ende der 1980er Jahre bis zu seinem Tod im Jahr 2005.

Was die alte Regel bestätigt, dass man als Sänger nie auslernt.

Jeder Sänger, ob als Anfänger oder nach zwanzig Bühnenjahren, sollte eine Vertrauensperson haben, die ihm schonungslos sagt, was gut ist und woran man arbeiten muss. Und in meinem Fall war Metternich ein absolutes Glück, menschlich wie auch fachlich. Er hat die Grundlage dafür geschaffen, dass ich als Anfänger den Alltag eines Opernsängers überhaupt bewältigt habe. Als ich zu ihm kam, war ich noch viel zu verkopft. Er hat mir beigebracht, mit dem ganzen Körper zu singen, und das war für meine Laufbahn von entscheidender Bedeutung. In meiner ersten Spielzeit in Mannheim hab ich 135 Abende gesungen, von kleinen Partien bis zum Figaro und Papageno. Das hält kein Anfänger durch, wenn er nicht eine solide technische Grundlage hat. Allerdings hatte ich in Mannheim auch das Glück, dass ich nie über mein Fach hinaus singen musste.

Im Jahr des Doppeljubiläums geht es natürlich nicht ohne Wagner und Verdi. Sie sind in der glücklichen Lage, deutsches und italienisches Fach zu singen, lassen sich auch nicht festlegen.  

Ich lasse mich ungern in Schubladen stecken, und auch generell finde ich es besser, wenn man sich als Sänger eine Vielfalt bewahrt – schon um stimmlich, stilistisch und sprachlich flexibel zu bleiben. Die so genannte „Spezialisierung“ halte ich für ungut, in manchen Fällen sogar für gefährlich. Es ist doch gerade das Reizvolle an unserem Beruf, dass wir zwischen Barock und Mozart, Wagner und Verdi, Puccini und Strauss wechseln können. Aber das gilt inzwischen als unzeitgemäß. In den Sänger-Generationen bis Ende der 1960er Jahre wurde Vielseitigkeit als Vorzug angesehen. Heute scheint es eher ein Problem zu sein. Heute heißt es sinngemäß: Konzentriere dich auf Dein Kerngeschäft! Neulich hat mir einer gesagt: Im italienischen Fach werden Sie nie so eine Karriere machen wie im deutschen! Ich hoffe, dass er Unrecht hat. Ich habe unlängst in London meinen ersten Scarpia gesungen, und es war ein großer Erfolg, nicht zuletzt weil die Chemie zwischen allen gestimmt hat. Und wenn ein Dirigent wie Maurizio Bennini und das anspruchsvolle Londoner Opernpublikum mich als Scarpia akzeptieren, sehe ich nicht ein, warum ich mich auf das deutsche Fach zurückziehen soll. Deshalb war es mir auch wichtig, auf dieser Platte viele Facetten zu zeigen; zum Beispiel nach Wolfram und Sachs die Monologe des Ford und Falstaff zu singen.

Der Wahn-Monolog hat Sie offenbar mehr gereizt als die anderen Soloszenen von Sachs…

Der Sachs reizt mich von der ersten bis zur letzten Note, in der ganzen Partie gibt es nichts, was mich langweilt. Die Essenz der Rolle ist für meine Begriffe der Wahn-Monolog, der hat alle Farben und Facetten, die den Sachs ausmachen: Ernst, Melancholie, Humor, Derbheit, Poesie, Philosophisches… Bei der Aufnahme kam mir wieder vieles in den Sinn, was ich mit Harry Kupfer erarbeitet habe. Seitdem sind natürlich noch einige Nuancen hinzugekommen. Sachs gehört zu den Partien, mit denen man nie zu Ende kommt, da entdeckt man immer Neues. Und so gern ich den Beckmesser gesungen habe, auch in Bayreuth: Sachs ist einfach in jeder Hinsicht das Größte in meinem Repertoire.

Apropos Beckmesser: Wie halten Sie es bei Wagner mit der Gewichtung von Wort und Ton?

Beides sollte in Balance sein. Der Wortgehalt macht auch einen Teil des musikalischen Gehalts aus, und umgekehrt. Ich bin ein großer Verfechter von Wortverständlichkeit, aber die erreicht man nicht durch Konsonantenspuckerei, sondern viel eher dadurch, das Ton und Wort in eins verschmelzen. Wagner ist für mich nicht weniger Belcanto als Verdi, nur muss man meist viel großbögiger singen, also die Spannungskurven sind ganz anders als bei Verdi. Aber für beide gilt: So schön und so ausdruckstark wie möglich singen. Vom Standpunkt des Sängers aus finde ich nicht, dass sie sich wesentlich unterscheiden. Vielmehr habe ich die Erfahrung gemacht, dass sich Wagner- und Verdi-Repertoire gegenseitig gut ergänzen.

Ford und Falstaff, das sind zwei Seiten derselben Medaille.

Zwei Seiten des Begriffs „Ehre“. Für Ford ist nichts schlimmer, als von seiner Frau Hörner aufgesetzt zu bekommen, also vor versammelter Mannschaft seine „Ehre“ zu verlieren – und für Falstaff ist „Ehre“ nichts als ein Wort. Er lebt nach dem Motto: „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert“, Ford hingegen fürchtet nichts so sehr wie des Ruf des betrogenen Ehemannes. Wie der alte Verdi das musikalisch umgesetzt hat, ist so genial und einmalig wie das ganze Werk mit seinen herrlichen Ensembles und den Lautmalereien im Orchester. Auch Falstaff ist ein Stück, mit dem man nie fertig wird. Ich freue mich sehr auf mein Bühnen-Debüt in der Titelpartie.

Also ist Ihre Aufnahme von Falstaffs Monolog über die Ehre eine Premiere?

Wenn Sie so wollen ist es meine erste Annäherung an diese tolle Partie. Und da ich den Konzert-Sektor nicht ganz vernachlässigen wollte, habe ich für den Verdi-Teil auch das Bass-Solo Confutatis aus dem Requiem aufgenommen.

Wie kam es zum Programmteil „Schubert-Lieder mit Orchester“?

Für mich ist Schubert im Genre Lied, was mir Bach im Konzert-Repertoire bedeutet. Da ich aber nicht mitten auf der CD von Orchester zu Klavier wechseln wollte, haben wir nach Schubert-Liedern in Orchesterfassungen gesucht. So kam es zum „Erlkönig“ in der Orchesterversion von Franz Liszt und „Tartarus“ in der Bearbeitung von Max Reger. Weniger prominent ist der Bearbeiter von „An Sylvia“, ein Herr Spindler aus Wien, über den leider nicht mehr zu erfahren war.

Wie stehen Sie zur Musikliteratur nach Strauss und Lehár?

Kommt ganz darauf an, was es ist. Ursprünglich wollten wir ja auf dieser Portrait-CD noch weiter gehen, nämlich bis zu Schönberg. Aber nicht Arnold, sondern Claude-Michel: Les Miserables. Da gibt es diesen tollen Song „Stars“, den habe ich zum ersten Mal  in einem Konzert mit Bryn Terfel gehört und war derart angetan von dem Stück, dass ich es unbedingt aufnehmen wollte. Leider ließ sich das nicht realisieren, da „Stars“ eine ganz andere Orchesterbesetzung erfordert. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Übrigens haben wir dieses Album in nur vier Tagen aufgenommen, und ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich bedanken für die wunderbare Zusammenarbeit mit Ralf Weikert, dem Münchner Rundfunkorchester und dem Tonmeister Torsten Schreier. Und bei Bryn Terfel, dem ich nicht nur die Entdeckung von „Stars“ zu verdanken habe, sondern auch die Wiederentdeckung einiger Händel-Stücke. Seine Händel-Platte rief mir in Erinnerung, dass Händel auch für tiefe Männerstimmen so wunderbare Soli komponiert hat wie „Vouchsafe, o Lord“ im Dettinger Te Deum. Und als pietistischer Pfarrerssohn, der mit Bach aufgewachsen ist und diese Musik wie die Luft zum Atmen braucht, wollte ich für dieses Album auch etwas Barockes einspielen…

Wie das Beispiel Elke Sommer zeigt, muss man ja als Pastorenkind nicht unbedingt völlig vom Glauben abfallen. Wie halten Sie’s heute mit Kirche und Religion?

Der Pastorenhaushalt und die Kirchenmusik haben mich in jeder Hinsicht geprägt, das ist ganz klar. Die Institution Kirche ist mir heute nicht mehr so nah wie früher, da halte ich eine kritische Distanz. Und ich würde mich auch nicht als „religiös“ im klassischen Sinne bezeichnen. Aber ich bin ein spiritueller Mensch, kein reiner Rationalist. Dazu gibt es viel zu viele Dinge zwischen Himmel und Erde, die man mit Wissen und Intelligenz allein nicht erklären kann.

Vom Figaro zum Sachs – das ist inzwischen eine Einbahnstrasse geworden. Früher galt es als etwas Besonderes und Schätzenswertes, wenn Wolfgang Windgassen nach seinen Siegfrieden und Tristanen in Stuttgart mal wieder den Tamino sang. Im heutigen Opernbetrieb, so habe ich den Eindruck, gibt es nach Wagner und Verdi kein Zurück mehr zu Mozart.

Wohl wahr. Wenn Du einmal als Sachs auf der Bühne gestanden bist, bietet Dir natürlich kein Mensch mehr den Papageno an. Aber ich hab mir in den Kopf gesetzt, ihn wieder zu singen. Und wenn mich keiner dafür engagiert, dann mach ich’s halt auf eigene Faust..

Volles Farewell als Papageno.

Das wär’s! Mit Evelyn Herlitzius als Papagena.

(c) 2012