Thomas Voigt
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Unikat der Plattengeschichte:

Die zweisprachige Fledermaus

Als RCA 1996 in der Reihe High Performance eine CD mit Fledermaus-Highlights in englischer Sprache wiederveröffentlichte, wird sich manch einer über die Besetzung gewundert haben: Stars von der Metropolitan Opera, kombiniert mit Chor und Orchester der Wiener Staatsoper?! Wieso waren Anna Moffo, Rise Stevens und George London samt den RCA-Produzenten George R. Marek und Charles Gerhardt von New York nach Wien geflogen, um eine englische Fledermaus aufzunehmen? Wer sich mit der Geschichte der Aufnahme ein bisschen auskannte, dem wurde bald klar, dass jene Highlights in Anschluß an eine Gesamtaufnahme in Originalsprache produziert wurden. Diese Aufnahme, die im Juni 1963 im Wiener Sofiensaal entstand, gehörte in den 1960er und frühen 1970er Jahren zu den bekanntesten Einspielungen des Werkes; die LP-Box mit der attraktiven Adele Leigh auf dem Cover, stand nicht nur in Fachgeschäften, sondern auch in allen großen Kaufhäusern – ganz gemäß der Devise von George R. Marek, dass auch Klassische Musik im großen Stil unters Volk gebracht werden kann (er war nicht nur Head of RCA Classics, sondern auch Mitbegründer des Reader’s Digest Record Club).

Um so merkwürdiger, dass die Aufnahme lange Zeit schlichtweg vergessen wurde. Die vorliegende Ausgabe (2009) ist die Erstveröffentlichung auf CD. Als Sony-BMG die Veröffentlichung plante und mich mit der Booklet-Redaktion beauftragte, schlug ich vor, als Bonus die englischen Highlights dranzuhängen. So haben wir jetzt erstmals beide Versionen in einer Ausgabe, und glücklicherweise passte alles auf zwei CDs.

Doch nicht nur als einzige zweisprachige Produktion ist diese Fledermaus ein Unikat. Auch in der Art, wie sie produziert wurde, unterscheidet sie sich von allen anderen Aufnahmen. Wie aus den Begleittexten in der LP-Ausgabe hervorgeht, war den RCA-Produzenten sehr an einer spontanen, lebendigen Wiedergabe gelegen. Das Ganze sollte den Witz und den Drive einer Aufführung haben. Also verzichteten sie diesmal auf den damals üblichen Numbered Floor Plan, jene Plastikplane mit Planquadraten, die in den ersten Jahren der Stereophonie benutzt wurde, um räumliches Agieren der Solisten abzubilden. Dafür wurde seinerzeit extra ein Stereophonic Stage Manager engagiert, der zum Beispiel Leontyne Price einwies, bei ihrem ersten Auftritt als Butterfly langsam von Feld 42 über 27 zur Standposition 14 zu gehen. Es ist klar, dass unter diesen Umständen von „spontanem Agieren“ nicht die Rede sein konnte, und deshalb entschied man sich bei der Fledermaus für eine andere Lösung: Die Darsteller sollten sich so frei bewegen können wie auf der Bühne; dementsprechend wurden ringsrum Mikrophone installiert. Wie Charles Gerhardt berichtete, ging die Rechnung auf: Die Solisten vergaßen die Aufnahme-Apparatur, agierten frei und spontan. Wenn Sandor Konya als Alfred sein Champagnerglas zerschmetterte oder Eberhard Wächter als Eisenstein in der Gefängnis-Szene voller Wut auf den Tisch hieb, so geschah das nicht nach Regie-Anweisung, sondern aus spontanem Impuls. Im zweiten Akt, beim Ball des Prinzen Orlofsky, blieben alle Solisten samt Chor auf der Bühne, um im Hintergrund für die nötige Stimmung und Hintergrundgeräusche zu sorgen. Es war quasi eine Studio-Aufnahme mit Live-Charakter.

Nicht nur bei den englischen Highlights, sondern auch bei der Gesamtaufnahme handelte es sich um eine Produktion für den internationalen Markt. Die Dialoge wurden auf das nötige Minimum reduziert und die Sprechpartie des Gefängniswärters Frosch ganz eliminiert. „Frosch ist nur für das Wiener Publikum lustig und auch nur dann, wenn ein sehr begabter Komödiant ihn spielt“, schreibt Marek in seinem Begleittext. International ist auch die Sängerbesetzung: eine Kombination von Metropolitan Opera und Wiener Staatsoper.

Von den waschechten Wienern, die in den ersten Gesamtaufnahmen des Werkes zwischen 1950 und 1960 mitwirkten, sind drei besonders profilierte und persönlichkeitsstarke Exemplare übrig geblieben: Eberhard Wächter, der Strauß und Lehár mit derselben Souveränität sang wie Mozart, Verdi und Wagner, als Eisenstein; Erich Kunz, der unvergleichliche Papageno und Figaro der Wiener Oper, als Frank; und der Charaktertenor Erich Majkut als Dr. Blind. Aufeinander eingespielt durch unzählige Aufführungen an der Staatsoper, verkörperten sie echtes Wiener Komödiantentum. Und für die Basis des authentischen Klangs sorgten natürlich die Wiener Philharmoniker. Dass sie hier unter „Orchester der Wiener Staatsoper“ firmierten, hatte einen ganz simplen Grund: als „Wiener Philharmoniker“ standen sie exklusiv bei der Decca unter Vertrag.

Als Musiker, der sozusagen noch die K.u.K.-Tradition im Blut hatte, war auch Oscar Danon, der damalige Chefdirigent der Oper in Belgrad, dem Wiener Idiom hörbar nahe: Neben Robert Stolz und vor Carlos Kleiber wird man den Orchesterpart der Fledermaus selten so schwungvoll und vital gehört haben wie in dieser Aufnahme.  Nicht zuletzt war auch George R. Marek gebürtiger Wiener (seine Familie zog nach Amerika, als er 17 war), und es dürfte für ihn Ehrensache gewesen sein, seine erste und einzige Fledermaus in Wien zu produzieren.

Adele Leigh, die Sängerin der Rosalinde, hatte kurz vor dieser Aufnahme an der Wiener Volksoper als Lustige Witwe debütiert. Da die Britin auch im Dialog völlig idiomatisch klingt, vermutete ich, dass sie zweisprachig aufgewachsen sei. Doch wie mir Nigel Douglas, ihr Tenor-Partner in etlichen Opern-Aufführungen und Operetten-Konzerten, sagte, hatte sie erst wenige Jahre vor dieser Aufnahme Deutsch gelernt. Dass sie noch dazu den aufgesetzten „ungarischen Akzent“ im zweiten Akt perfekt artikulieren konnte, ist schon ein kleines Wunder.

Anneliese Rothenberger, die „beste Sophie der Welt“ (Lotte Lehmann), war in Wien genauso beliebt wie in an der Met, sang an beiden Häusern nach der Zdenka, Sophie und Susanna auch die Adele (in Wien mit Herbert von Karajan). Dass sie im zweiten Akt noch als Einlage den Frühlingsstimmenwalzer singt, verleiht der Aufnahme zusätzlichen Reiz. Sandor Konya, als Lohengrin wie auch als Operettensänger Weltklasse, fügte sich perfekt ins Ensemble ein: Die ideale Kombination von Italianità und tenoralem Schmäh.

Mit Rise Stevens und George London bot RCA damals zwei Stars der Metropolitan auf, die durch Filme und Fernseh-Auftritte zu den populärsten Sängern der USA gehörten. Rise Stevens, ehemals eine gefeierte Carmen, gewinnt ihren herben Bruststimmen-Tönen viel Charakter für die Figur des exzentrischen Prinzen ab. George London, unvergessen und unerreicht als Holländer und Amfortas, hat als Dr. Falke die Ausstrahlung eines Don Giovanni – vielleicht etwas zu stimmgewaltig für eine Partie, die in den fast tenoralen Höhenphrasen des „Brüderlein“-Ensembles die Leichtigkeit eines Kavaliersbariton erfordert: London ließ sich den Beginn des Ensembles in beiden Versionen einen Halbton nach unten transponieren, so dass es beim Einsatz der übrigen Sänger zu einem deutlich hörbaren Bruch kommt (CD 1, Track, 5:17).

Stevens und London sind die einzigen, die in beiden Versionen singen. Die englischen Highlights wurden logischerweise mit Blick auf den angloamerikanischen Markt besetzt: Anna Moffo war damals die gefeierte Traviata der Met, Sergio Franchi der erfolgreichste „Pop“-Tenor auf den Spuren von Mario Lanza. Jeannette Scovotti machte vom Opernstudio der Met aus Weltkarriere: sie debütierte dort 1962 als Adele und war wenige Jahre später Karl Böhms Zerbinetta in Wien. Hier schließt sich der Kreis: Diese Fledermaus schlägt die Brücke zwischen Wien und New York, Staatsoper und Met, Operette und Broadway. Denn dass die Highlights eher nach Broadway klingen, liegt schon in den „English Lyrics“ von Mel Mandel und Norman Sachs begründet: Statt „Die Majestät wird anerkannt“ heißt es im Champagner-Ensemble: „Sip, sip and a hip, hip, hip, hurray!“

Thomas Voigt © 2009