Editorials zu schreiben fand ich meist knifflig, muss man doch für jede Ausgabe auf Seite 3 einen Türöffner finden, und da kann man oft lange suchen. Aber manchmal gibt es Steilvorlagen – wie vor vielen Jahren einen Marketingtext von Universal. Es ging um die Einführung einer neuen CD-Serie für Yuppies mit dem Titel mondän. Und der Text schrie geradezu nach einem Editorial (veröffentlicht im FonoForum 10.2001):
An dem Text hätte auch Karl Kraus seine Freude gehabt. Er stammt aus dem Hause Universal und beschreibt eine neue CD-Serie des Hauses mit dem Titel mondän. Gleich der erste Satz hat es in sich: Immer wieder muss ich Diskussionen führen, was eigentlich mondän sei. Müssen wir das nicht alle? Als man mir das letzte Mal eine Diskussion zu diesem Thema aufzwingen wollte (es war die Blonde bei Bäckerei Kamp, die mir immer unaufgefordert von ihren Ibiza-Urlauben erzählt), suchte ich unter fadenscheinigen Ausreden schnell das Weite. Aber es hilft nichts: Wie jeder auf dieser Welt muss auch ich mich der unausweichlichen Frage stellen:Was ist mondän? Universals Antwort ist von verblüffender Schlichtheit: Das schöne Gefühl, am späten Vormittag das Dach seines brandneuen Jaguar XR4 Convertible mit elegantem Schwung aufklappen zu sehen. Stimmt! Davon träume ich immer, wenn ich die schwergängige, quietschende Kurbel betätige, um das Dachfenster meines eher gar nicht brandneuen Volkswagens einen Spalt weit zu öffnen.
Doch bevor ich ernsthaft meine Möglichkeiten zur Anschaffung eines JaguarXR4 Convertible (klingt fast so gut wie Fissler Vitavit Royal) erwägen kann, bietet Universal eine wesentlich preisgünstigere Alternative: …der stolze Besitz von zwei mal zehn Meter Monster Cable. High End, Meterpreis 100 DM. Besondere Spezialität: Das Kabel ist auf den Musiktypus abgestimmt. Die Wicklung macht den Unterschied.
20 Meter mal 100 Mark … da muss ich sofort die Jungs von der Stereo-Redaktion fragen, ob’s darauf Journalisten-Rabatt gibt. Was aber, wenn sich der lang ersehnte mondän-Effekt nicht einstellt? Wenn man sich trotz 2.000-Mark-Verkabelung im dünnwändigen, beengten Zuhause partout nicht so fühlt wie in einer Luxus-Suite an der Côte d’Azur? Dann muss man noch ein paar Mark drauf- und die Wunderscheibe einlegen: mondän. Volume 1; die „Café del Mar‘ der Klassik, der Soundtrack, der die Assoziationsschleusen öffnet.
Die Stücke auf dieser Sammlung – pardon: Compilation! – stammen von Albinoni, Chopin, Grieg, Massenet, Schostakowitsch, Oregon, Michel Kamen, LTJ Bukem, MJ Cole, Michel Legrand und – John Barry. Der schrieb 1962 das James-Bond-Motiv für nur 200 Dollar Gage. …Heute verdient er pro Minute 200 Dollar. Mindestens.
Tja, der hat’s geschafft. Der muss nicht Produkte wie diese hören, um tief im Innern zu spüren, was Universal seinen Hörern verspricht: Das große Gefühl: Ich bin mondän. Welche Auswirkungen mondän Vol. 1 auf das Sozialverhalten am Arbeitsplatz haben wird, bleibt anzuwarten. Fachärzte haben sich bereits auf einen verstärkten Zulauf von Menschen mit geöffneten Assoziationsschleusen eingestellt. Für eine erfolgreiche Therapie werden zwischen zwanzig und dreißig Stunden angesetzt, die Stunde kostet 100 Mark. Mindestens.