Gespräche mit Josef Metternich
Im Deutschland der Wirtschaftswunderjahre war er der Inbegriff des Verdi-Baritons, Rudolf Bing holte ihn für italienische Partien an die Met. Er konnte mit der Verve eines italienischen Tenors schmettern und im nächsten Moment das schönste Piano verströmen. Im deutschen Repertoire verband er Expressivität mit „italienischem“ Legato, und noch heute gelten seine Wagner– und Strauss-Aufnahmen als vorbildlich.
Auch als Pädagoge hat Josef Metternich Ungewöhnliches hinterlassen, viele namhafte Sänger kommen aus seiner Schule. Die folgenden Gespräche, die Thorsten Schneider und Thomas Voigt mit Metternich führten, fanden in den letzten fünf Jahren seines Lebens statt und waren ursprünglich zur Veröffentlichung einer Interview-Biographie gedacht. Leider ließ sich das Projekt zu Lebzeiten des Sängers nicht mehr realisieren. Josef Metternich verstarb am 21. Februar 2005, wenige Monate vor seinem 90. Geburtstag.
Vom Schuhverkäufer zum Heerrufer
Nachdem Sie zwei Jahre wegen Krankheit aussetzen mussten, haben sie im Spätsommer 1939 von Null angefangen: Gesangsunterricht bei Paul Neuhaus in Berlin. Wie kam zum Kontakt mit Neuhaus?
Ich kannte ihn noch aus der Zeit, als ich in Bonn engagiert war, kurz bevor ich diese Rippenfellentzündung bekam. Da hatte mir ein Kollege gesagt: Wenn du einen Gesangslehrer suchst, geh zu Paul Neuhaus, der lehrt eine ganz eigentümliche Technik Als ich ihn in Köln aufsuchte, sagte er gleich: “Leider kann ich nichts für sie tun, ich breche meine Zelte hier ab.” Später erfuhr ich, dass er am Kölner Bürgerhospital Asthmatiker mit Gesangsübungen behandelt hatte, und man sagte, das habe den Patienten mehr geholfen als alle ärztliche Medizin. Als ich dann als geheilt entlassen war, versuchte ich, den Kontakt zu Neuhaus wieder herzustellen. Sie dürfen nicht vergessen: Ich hatte bis dahin keine einzige Gesangsstunde gehabt. Da war Neuhaus schon längst in Berlin, und er war bereit, mich als Schüler nehmen. Nur: Wovon sollte ich die Stunden bezahlen? Und wovon sollte ich in Berlin leben? Da kam mir ein Herr Walter zu Hilfe, den kannte ich von meinem Aufenthalt in Davos. Er hatte ein Schuhgeschäft in Berlin-Lichterfelde und machte mir folgenden Vorschlag: “Du kommst zu uns und hilfst ein bißchen im Geschäft. Dafür kannst du bei uns schlafen, und das Geld für Deinen Lehrer werden wir schon aufbringen.” Ich war gerade ein paar Wochen in Berlin, da brach der Krieg aus. Wann immer ich Zeit hatte, habe ich mit Neuhaus gearbeitet, die Stimme kam auch sehr schnell wieder, sie stabilisierte sich. Während der Zeit bin ich regelmäßig zum Gesundheitsamt gegangen, ein ganzes Jahr lang, und da wurde ich regelmäßig untersucht. Und eines Tages sagten sie: “Die Ausheilung ist ganz prima vonstatten gegangen, und wahrscheinlich hat auch Ihre Singerei dazu beigetragen.”
Haben Sie im Schuhgeschäft beim Verkauf geholfen oder worin bestand Ihre Arbeit?
Ich hab beim Verkauf geholfen und den Schreibkram gemacht. Es war ja Krieg, und da ging das ganze Theater mit den Zuteilungen und den Listen los. Die Leute mussten sich sogar eintragen lassen, wenn sie in Paar Schuhe kauften, und auch für eine Schuhreparatur mussten sie in einem bestimmten Geschäft eingetragen sein, damit dieser Laden entsprechende Mengen Leder etc. zugeteilt bekam. Eines Tages seh ich auf einer der Listen den Namen “Noort”. Da hab ich natürlich gleich nachgefragt: “Ja, das ist n Holländer, spricht so’n lustiges Deutsch.” Das war kein anderer als Henk Noort, der Heldentenor, mit dem ich 1935 in dieser Rundfunksendung aufgetreten bin. Der war inzwischen Erster Tenor am Deutschen Opernhaus in Berlin. Der war bei uns als Kunde eingetragen, und eines Tages kam er in den Laden. „Ach, ist das nicht der Bariton, der den Bajazzo-Prolog gesungen hat, ohne eine Stunde Unterricht gehabt zu haben?” – “Jaja, das bin ich” – “Ja, um Gotteswillen, was machst du denn hier?” – “Ich helfe hier aus, damit ich jetzt endlich mal Gesangsstunden nehmen kann.” – „Da bin ich ja neugierig, du musst uns besuchen, ich will wissen, was aus deiner Stimme geworden ist.”
Also bin ich eines Vormittags zu ihm nach Hause und hab ihm Valentins Gebet vorgesungen. Als ich fertig war, ging er ans Telefon. “Sekretariat der Generalintendanz bitte! Hallo Beli? Ist der Chef da? Dann sag ihm bitte, dass ich angerufen hab. Hier ist ein junger Bariton, den muss der Chef hören. Vergiss es nicht!”
Drei Tage später werde ich im Laden zum Telefon gerufen. “Deutsches Opernhaus Berlin, Generalintendanz, Bernhard. (So hieß “Beli” mit Nachnamen). Spreche ich mit Herrn Metternich? Herr Noort hat Sie uns empfohlen. Folgendes: Einmal im Monat macht der Generalintendant ein Vorsingen für junge Sänger. Wenn Sie wollen, könnten Sie beim nächsten Mal vorsingen. Der Chef räumt Ihnen am Schluss zehn Minuten ein.” Na, ich war natürlich aufgeregt wie sonst was, bin zum Vorsingen gegangen, habe mich aber überhaupt nicht eingesungen, weil ich dachte: Das geht den üblichen Weg: ne halbe Arie, und dann sagen sie “Danke, genügt, noch zu jung, aber kommen Sie nächstes Jahr wieder”. Es war im April 1940, Samstagmittag, gegen halb eins. Ich kam als Letzter dran. Im Parkett saßen fünf, sechs Leute, aber ich konnte keinen erkennen, weil das Licht war auf mich gerichtet war. Dann sagte einer: “Also, was wollen Sie singen?” – “‘Feile Sklaven‘ aus ‚Rigoletto‚” – “Wie alt sind Sie denn?” – “24.” – “Naja, versuchen Sie’s mal.” Und dann haben die mich bis zum Schluss singen lassen. Dann wieder die Stimme von unten: “Haben Sie noch was?” (O Schreck!) “Ja, den Bajazzo-Prolog.” – “Oh, drunter tun Sie’s wohl nicht.” Also hab ich den Prolog gesungen, und danach noch die halbe René-Arie versucht. Inzwischen lief mir vor Anstrengung und Aufregung das Wasser den Rücken runter. Ich war ja gar nicht präpariert, das war das erste mal, dass ich derart gefordert wurde. Dann kam der Intendant auf die Bühne, der Heldenbariton Wilhelm Rode. Das erste was er sagte, war: “Na, du bist auch nicht sehr groß! Aber das macht nichts, du wirkst von der Bühne viel größer. Schöne Stimme hast du, komm mal mit.” Und führte mich einen langen Flur entlang zu seinem Zimmer. “Also, das geht nicht, dass du Schuhe verkaufst. Mit so einer Stimme!” Nach einer Weile kam der Verwaltungsdirektor. “Holen Sie bitte mal nen Formular”, sagte Rode, “wir machen schnell einen Vertrag: Herr Josef Metternich wird vom ersten August 1940 für zwei Jahre als lyrischer Bariton, jugendlicher Spielbariton und jugendlicher Charakterbariton engagiert, zu einer monatlichen Gage von 500 Reichsmark.” Ein Studienrat kriegte damals 350 Mark im Monat! Ich war so was von fertig, ich wusste nicht einmal Dankeschön zu sagen. Eh ich das Haus verließ, führte mich Rode noch mal in den Zuschauerraum und zeigte mir die vierte Loge in der Mitte vom dritten Rang. “Die ist reserviert für die Solisten. Da wirst du jeden Abend sitzen, von dort wirst du deine berühmten Kollegen beobachten. So wirst du lernen, wie man sich auf der Bühne bewegt. Außerdem kriegst du jeden Tag Korrepetition. Dann erstmal gute Heimfahrt!” Derart perplex war ich nur noch ein zweites Mal im Leben, nämlich als mir Rudolf Bing einen Vertrag für die Met anbot. Ich bin also wie im Traum nach Hause gegangen. Und damit nahm meine Karriere ihren Anfang.
Und mit welcher Rolle fing es an?
Mit dem Hin- und Heerrufer bei der Wiederaufnahme von Lohengrin. Rode hat selbst Regie geführt und den Telramund gesungen. Und er hat sich gedacht: Der Heerrufer verlangt nicht viel Darstellung, da kann der Metternich mal seine Stimme zeigen… In dieser Inszenierung ging ‘ne Treppe hoch zum einem Podest, da saß der König, und der Heerrufer musste unten stehen zu seinen Füßen. Bei der ersten Probe drückte mir Rode einen Knüppel in die Hand und sagte: „Hier bleibste stehen, und wehe!, du machst was anderes! Wenn du fertig bist mit deinem Ruf, dann drehst du dich herum, so richtig männlich, und dann gehst du rüber und bleibst dort stehen.“ Alle grinsten, und dann ging’s los. Ich war ganz schön aufgeregt, aber es lief alles reibungslos. Lohengrin war Henk Noort, die Elsa Constanze Nettesheim. Elsa Larcen sang die Ortrud, die hatte ne unheimliche Röhre, wenn die den Fluch losgelassen hat, sind im Haus die Lampen ausgegangen. Und der König Heinrich kam aus Köln, das war Wilhelm Schirp.
Eines Tages war Schirp krank, und an seiner Stelle hat noch einmal Michael Bohnen den König Heinrich gesungen. Und ich seh ihn noch heute vor mir, wie er mich während der Vorstellung zu sich raufwinkt auf das Podest. Dachte ich: Gott, was soll ich jetzt tun? Rode hatte mir doch eingeschärft, dass ich mich nicht vom Fleck rühren soll. Aber wenn ich jetzt als Heerrufer nicht dem Wink des Königs folge – das geht erst recht nicht! Also bin ich, ganz in meiner Rolle, auf den König zu, habe mich zu ihm gebeugt. Und Bohnen flüstert mir ins Ohr: „Komm‘ nachher mal in meine Garderobe!“ Ja, da durfte ich natürlich keine Miene verziehen und musste mit dem Knüppel in der Hand brav wieder die Stufen runter, zurück auf meinen Platz. Nach dem ersten Akt bin ich zu ihm in die Garderobe. „Sage mal, wo hast du diese Stimme her? Du hast ja eine eigentümliche Technik, die haben die anderen nicht. Mit wem arbeitest Du?“ – „Mit Paul Neuhaus, den kenne ich noch aus Köln“ – „Was, du kommst auch aus Köln? Also, wir müssen uns mal in Ruhe unterhalten.“
Das war mir schon öfters passiert, dass Kollegen, auch ganz berühmte, mich fragten: „Wie machst du das?“ Andere waren eher skeptisch: „Der muss doch stockheiser werden, so wie der singt!“
Was meinten sie damit?
Na, ich habe halt nie diese Sängerschnute gemacht, sondern ganz normal den Mund geöffnet. Und ich habe auch nicht in der Höhe „gedeckt“, was sonst alle machten.
Sondern ziemlich offen gesungen.
Offen wie ein Scheunentor! Ich hab in der Höhe so gesungen wie ein Tenor. Und da haben die sich gewundert, dass ich nie heiser wurde und nie absagen musste. Die ganzen Jahre nicht. Andererseits hab ich ja nicht so viel zu tun gehabt. Ich konnte mich ganz auf meine Vorstellungen konzentrieren.
Bohnens Bombenrolle war damals der Kezal in der Verkauften Braut. Stimmlich war er schon über den Zenit, aber was er als Kezal gemacht hat, war so doll, dass man vor Begeisterung in die Knie gegangen ist. Als ich eines Abends mal als Vater der Braut einspringen musste, wünschte mir der Korrepetitor toi-toi-toi und meinte dann noch: „Und tu mir einen Gefallen: spiel mir den Bohnen nicht an die Wand!“
Tja, als Darsteller war ich indiskutabel; jedenfalls sagten Freunde von mir nach meiner ersten Vorstellung als Silvio in Bajazzo: „Also, gesungen haste toll. Aber das Darstellerische, das muss anders werden!“ Wahrscheinlich war ich gar nicht vorhanden auf der Bühne, denn meine Nedda, Tresi Rudolph, sah aus wie ne Filmschauspielerin. Die hatte es abgelehnt, mit Anfängern zu probieren, und so traf ich sie erst in der Vorstellung. Geprobt hatte ich mit einer Alternativbesetzung, aber Probe konnte man das eigentlich nicht nennen, ich war voller Hemmungen, wusste nicht, wohin mit den Armen und Beinen… es war schlimm!
Immerhin, nach zwei Anfängerjahren rief Rode mich zu sich. „So, jetzt darfst du dir auch mal eine große Partie aussuchen.“ Ich hab mir dann den Luna gewünscht, weil ich wusste, dass niemand den gerne sang. Manchmal war es der Karl Schmitt-Walter, ein wunderbarer Bariton, aber doch weniger eine Stimme für Verdi als für den Rossini-Figaro oder den Don Giovanni. In solchen Partien war der grandios, und auch als Liedersänger. Dann gab es noch Hans Reinmar, aber der sang eher Sachen wie Amfortas und Holländer. Nissen wollte den Luna nicht singen, und Wocke auch nicht.
Wegen der hohen Tessitura?
Klar, das liegt ja für einen normalen Bariton schrecklich hoch, bei der Arie wackelt einem das Zwerchfell vor Anstrengung, wenn man nicht die Stimme dafür hat. Es dauerte keine drei Wochen, da wurde der Troubadour angesetzt. Die Leonore war eine nette Kollegin, die meine Oma hätte sein können, und auch der Tenor war auf dem absteigenden Ast. Um so mehr fiel ich mit meiner Stimme auf und hatte einen schönen Erfolg. Daraufhin durfte ich auch meinen ersten René singen. In derselben Vorstellung sang Elisabeth Schwarzkopf ihren ersten Oscar, die hat genauso einspringen dürfen wie ich und war hinreißend. Als nächste Partie kam der Amonasro in Aida. Zu dieser Zeit war der Krieg schon in vollem Gange. Viele Opernhäuser waren schon zerstört, auch die Berliner Staatsoper.
„Goebbels hasste Rode wie die Pest“
Wie war eigentlich das politische Klima am Deutschen Opernhaus? Hat man gespürt, dass Rode ein Freund von Hitler war?
Also, zu mir war Rode immer sehr anständig und hat mich auch nie mit irgendwelchen Parteigeschichten behelligt. Natürlich gab es im Ensemble genügend Leute, die begeistert mitgemacht haben. Aber auf mich irgendeinen Einfluss zu nehmen, das hat von meinen Kollegen auch nicht ein einziger versucht. Im Gegenteil, da gab es folgende Geschichte: Im Haus war eine neue Hitler-Büste aufgestellt worden – und am nächsten Tag fehlte die Nase, die hatte jemand abgeschlagen. Da war das ganze Haus voll mit SS und geheimer Staatspolizei. Und Rode sieht mich, nimmt mich zur Seite und flüstert: „Metternich, ich flehe dich an…“ – „Herr Generalintendant, Sie brauchen kein Wort zu sagen, ich habe die Nase nicht abgeschlagen, Ehrenwort!“ – „Klar“, sagt Rode, „aber die haben hier alle durchleuchtet, und dir geht der Ruf voraus, dass du nicht gerade mit Begeisterung dabei bist.“ – „Machen Sie sich keine Sorgen, ich habe mich korrekt verhalten und werde es auch weiterhin tun.“ So war das damals mit Rode. Ich wurde nicht zu einer einzigen Kundgebung und Parteiveranstaltung herangezogen, da haben die mich immer in Ruhe gelassen. Das einzige waren die Konzerte im Ausland, die wir vor deutschen Soldaten und Offizieren gegeben haben. Die liefen dann sozusagen unter „Dienst fürs Vaterland“.
Also musste man Rode gegenüber nicht sonderlich devot oder unterwürfig sein?
Überhaupt nicht. Man musste nur nicht so blöd sein und selbst von Politik anfangen. Übrigens: Goebbels hasste Rode wie die Pest. Der wollte ihn loswerden, und das hat er dann auch geschafft, indem er ihm mit irgendeiner Sache eine Falle gestellt hat. Offiziell hieß es: „Der Generalintendant bekommt zur Entlastung einen Operndirektor beigestellt.“ Das war Hans Schmidt-Isserstedt, und der brachte einen unbekannten jungen Regisseur mit Königsberg mit, namens Günther Rennert. Damit wurde natürlich von heute auf morgen alles anders. Rode hat das stillschweigend hingenommen, ist dann nach Bayern in sein Haus gefahren und ist nie wieder einen Tag lang in Berlin gewesen. Er hat genau gewußt, dass seine Zeit zu Ende war.
Was passierte dann unter der neuen Leitung Schmidt-Isserstedt/Rennert, gab es gravierende Veränderungen?
Man ließ mir ausrichten, „Der Herr Direktor wird Sie nächste Woche im ‚Troubadour‘ hören und möchte danach mit Ihnen sprechen.“ Gott sei Dank war es der Luna, und nicht irgendeine Wurzen! Und Schmitt-Isserstedt war wahnsinnig nett und sagte: „Herr Metternich, Sie haben eine wunderbare Stimme, aber ich möchte Ihnen folgendes sagen: Es gibt hier acht Baritone am Haus. Wollen Sie warten, bis die alle das Feld räumen? Solange die hier sind, müssen Sie immer bescheiden im Hintergrund bleiben. Aber mit Ihrer Stimme, können Sie woanders sofort das Erste Fach singen. Häuser wie Hannover oder Frankfurt, die wären froh, wenn sie einen Bariton hätten wie Sie! Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Suchen Sie sich ein Engagement, und wenn Sie was gefunden haben, dann wechseln Sie. Und wenn sie nichts finden, dann bleiben Sie bei uns. Die Gage läuft ja weiter.“
Ein Agent verschaffte mir ein Engagement in Wiesbaden. „Die suchen einen Bariton. Gehen Sie hin, da sind Sie sicher vor den Bomben, da werden die Amerikaner mal wohnen wollen, wenn die kommen.“, sagte er hinter vorgehaltener Hand. Ich habe dort vorgesungen und sofort einen Vier-Jahresvertrag gekriegt, noch dazu mit einer sehr hohen Gage. Aber mit den schönen Aussichten war es bald vorbei: Ich habe nur einmal den René gesungen, dann hat Goebbels den „totalen Krieg“ verkündet und alle Theater schließen lassen. Das war im Sommer 1944. Der Wiesbadener Intendant sagte mir: „Herr Metternich, ich kann Sie nicht retten. Hauen Sie ab, sonst werden Sie hier aufgegriffen. Von uns sind schon dreißig Orchestermusiker geschnappt und eingezogen worden. Nehmen Sie diese Bescheinigung mit, dann kriegen Sie Ihre Gage auch in Berlin. Sie brauchen sich um nichts zu kümmern. Aber retten Sie sich, hauen Sie ab!“ Dann bin ich erst mal vierzehn Tage nach Köln zu meinen Eltern und habe mich dort versteckt. Danach weiter nach Berlin. Meine Berliner Kollegen waren alle in die Munitionsfabrik gesteckt worden, die mussten bei Siemens Granaten drehen. Gott sei Dank konnte ich ja meine Krankengeschichte vorweisen, das hat mich davor bewahrt, noch in letzter Minute an die Front zu müssen. Also hab ich mich beim Arbeitsamt gemeldet, und die teilten mir einen Job in der Sparkasse des Kreises Teltow zu. Dort habe ich dann das Ende des Krieges erlebt.
Hans Beirer denunziert Michael Bohnen
Mai 1945. Der Krieg ist aus, Stunde Null. Die Berliner Opernhäuser liegen in Schutt und Asche.
Das Deutsche Opernhaus war zwar zerstört, aber es bestand weiterhin als Institut. Aber jetzt unter seinem alten Namen, Städtische Oper. „Deutsches Opernhaus“ hatte es nur im „Dritten Reich“ geheißen. Die Reste unseres Ensembles wurden zusammengebracht mit dem, was von der Volksoper übrig geblieben war. Das waren dort immerhin ein halber Chor, ein halbes Orchester und ein paar Solisten. Damit ließ sich schon ein Programm gestalten. Gespielt wurde in der Volksoper, dem heutigen Theater des Westens. Dort fehlte zwar das Dach, aber der Rest war heil geblieben.
Dann wurde Michael Bohnen Intendant. Er erinnerte sich an unsere gemeinsame Lohengrin-Vorstellung und wollte mich groß rausbringen. Als erstes wurde Fidelio gegeben, im September 1945. Als nächstes kamen Cavalleria und Bajazzo, da sang ich den Alfio und den Tonio, also das erste Mal den Bajazzo-Prolog in einer Aufführung. Das Publikum hat gerast. Und Bohnen hat mich beiseite genommen und mir peu a peu beigebracht, wie man sich auf der Bühne bewegt. Danach haben die Kollegen mich nicht wieder erkannt. Und das war auch bitter nötig, denn als nächstes kam schon der Jago. Mit Ludwig Suthaus als Otello. Und danach Simon Boccanegra. Also alles erste Partien im italienischen Fach. Leider dauerte die Zeit mit Bohnen nicht lange. Er musste bald seinen Hut nehmen.
Was war geschehen?
Ja, da gab es eine Riesen-Affaire, an der war Hans Beirer maßgeblich beteiligt. Beirers Frau war sogenannte „Vierteljüdin“, und die beiden haben auf „Opfer des Faschismus“ gemacht. Das hat der Beirer für seine Zwecke oft ausgenutzt. Anfangs war er ja eher ein Schmalspur-Tenor, er hatte dann später Unterricht bei meinem Lehrer, ist stimmlich in die Breite gegangen und wurde Heldentenor; aber den Namen von meinem Lehrer hat er nie erwähnt. Beirer und Bohnen waren zuerst ein Herz und eine Seele, aber dann muss irgendetwas vorgefallen sein, und das hat sich dann derart zugespitzt, dass Beirer den Bohnen als Alt-Nazi denunziert hat. Da haben die Engländer natürlich nachgeforscht und alles Mögliche ans Tageslicht geholt, Bohnens Filme für die Ufa und diverse Dokumente. Wir wussten, dass Bohnen kein Nazi war, aber das Material reichte den Behören aus, um ihm einen Strick daraus zu drehen. Bohnen musste gehen. Und der gute Michael war so gutmütig, dass er sich ein Jahr später mit dem Beirer wieder vertragen und ihm sogar Unterricht gegeben hat. Beirer hat dann über Italien seinen Weg als Heldentenor gemacht.
Wer übernahm nach Bohnen die Intendanz?
Eine zeitlang war das Maestro Rallentando – so haben wir Robert Heger genannt – und noch jemand, dessen Namen ich vergessen habe. Das war eine Interimslösung, bis dann Heinz Tietjen drankam.
Was veränderte sich, als Tietjen Intendant wurde?
Eine ganze Menge. Natürlich musste und wollte er auch zeigen, dass jetzt ein neuer Wind weht. Vielleicht konnte er nicht anders. Und was mich betrifft, war die Rechnung ganz klar: „Bohnen ist mein Feind. Metternich ist ein Kind von Bohnen. Also ist Metternich auch mein Feind.“ Ob er das je so ausgesprochen hat, weiß der Teufel, aber man hat es mir so dargestellt. Und ich hab es auch zu spüren bekommen. Von heute auf morgen war ich persona non grata, ich kriegte kaum noch was zu singen. Außerdem hat Tietjen einen neuen Bariton aufgebaut, dass war der junge Fischer-Dieskau. Der hat dann auch italienische Partien bekommen wie den Posa in Don Carlos. Aber ihm dann auch den Carlos in Macht des Schicksals zu geben, war eine Schnapsidee, dafür war seine Stimme viel zu lyrisch. Und Fischer-Dieskau hat dann klugerweise die Partie auch abgegeben, bevor er sich weh getan hätte. Wohl oder übel hat Tietjen die Rolle dann mir zugeteilt. Davor hatte ich ihn mal aufgesucht und gefragt, wieso ich denn kaum noch drankomme. „Ja, was wollen Sie“, meinte er, „Sie gehören zu den fünf Sängern, die hier die Spitzengage kriegen!“ Irgendwann hat er mir dann den Alberich angeboten, aber da habe ich abgelehnt: „Das tue ich meiner Stimme nicht an!“ Darauf schrieb er mir sinngemäß: Er hätte nur das Beste gewollt und hätte mir in dieser Rolle sicherlich zu einem Welterfolg verholfen, aber es sei ja bekannt, dass ich von „der anderen Seite“ beraten würde. Und dann hab ich ihm geantwortet, dass auch er nicht ganz unbeeinflusst sei: Man hatte mir erzählt, dass seine Frau immer die Loge verließ, wenn ich in Macht des Schicksals meine große Arie sang. Und jemand hatte gehört, wie sie sagte: ‚Ich kann dieses Geprotze mit der Stimme nicht ertragen!“ Darauf schrieb Tietjen, das sei eine Verleumdung, und ich solle ihm den Namen nennen. Der wollte wohl, dass ich den Beirer denunziere, denn den wäre er gern losgeworden.
Ich denke, Beirer hat mit dazu beigetragen, dass Tietjen Bohnen ablöste?
Genau das war ja das Problem: Der Gedanke, diesem Tenor da ewig dankbar zu sein und womöglich noch erpressbar zu werden, das hat Tietjen nicht ertragen. Also, der Beirer musste weg.
Und wie haben Sie sich in dieser brenzligen Situation verhalten?
Geschwiegen wie ein Grab. Ich dachte: Ich werde den Teufel tun und den Namen nennen – egal, wer es gesagt hat. Dann drohte mir Tietjen mit Gericht. Inzwischen hatte die Covent Garden Opera bei mir angefragt, ob ich dort den Holländer singen würde. „Aber in englischer Sprache!“, hieß es. Das war die Zeit, als bei David Webster alles auf englisch gesungen wurde. Die Schwarzkopf zum Beispiel hat dort Pamina, Sophie und Mimi auf englisch gesungen. Naja, dachte ich mir, ich hab zwar keine Holländer-Stimme, da klinge ich viel zu lyrisch und zu hell, aber ich werde versuchen, das Beste daraus zu machen.“ Ich hab mich dann mit Herrn Lynch besprochen, das war der Mann, den die Engländer zur Verwaltung der Opernhäuser eingesetzt hatten. „Sie kriegen einen erfahrenen Regisseur“, meinte Lynch, „den Herrn Tietjen.“ – „Oh Gott, warum sagen Sie das erst jetzt? Mit Tietjen, das geht nicht. Wir haben einen Streit und müssen bald vor Gericht!“ – „Lassen Sie mich mit David Webster reden. Wie ich ihn kenne, ist der Sänger ihm wichtiger als der Regisseur.“ Das hat Tietjen natürlich rausgekriegt, und der wollte sein London-Gastspiel um keinen Preis platzen lassen.
Eines Abends sitze ich in der Garderobe, werde für eine Aida-Vorstellung geschminkt. Zuerst verschwindet mein Ankleidemann, und dann haut auch noch der Maskenbildner ab und zischt mir zu: „Der Alte ist draußen!“ Dann kommt Tietjen rein und sagt in ganz nüchternem Ton: „Guten Abend, Herr Metternich. Ich bin ein alter Narr. Wir haben uns da in irgendwas hineingesteigert, das ist doch ein Blödsinn. Wir haben den Weltkrieg hinter uns gebracht und sind mit dem Leben davon gekommen und benehmen uns wie die Kinder. Wenn Sie einverstanden sind, vergessen wir das Ganze.“ Und gibt mir die Hand. Dann sind wir beide nach London, dort er mich gleich zum Essen eingeladen, und ich hab seiner Frau nen Blumenstrauß in die Hand gedrückt, und seitdem kam von beiden kein böses Wort mehr. Die Arbeit mit ihm war prima. Er hat mich wunderbar geführt, und wenn er was auszusetzen hatte, nahm er mich immer beiseite, so dass die anderen nichts hören konnten. Und was er an Handwerk drauf hatte, das hat mir imponiert.
Dass er nicht wieder Intendant der Berliner Staatsoper werden konnte, war klar: Dieses Amt hatte er ja während der Nazizeit bekleidet…
Jaja, und in Bayreuth war er die rechte Hand von Winifred Wagner gewesen. Im Grunde war er der Künstlerische Leiter der Bayreuther Festspiele gewesen.
Gab es auch nach dem Krieg so etwas wie eine Konkurrenz zwischen beiden Opernhäusern?
Vielleicht nicht so stark wie im Dritten Reich, wo es ja im Grunde ein ewiger Kampf zwischen Goebbels und Göring war. Goebbels hatte das Deutsche Opernhaus, Göring die Staatsoper. Aber eine gewisse Konkurrenz bestand auch nach dem Krieg, natürlich schon deshalb, weil das eine Haus im West-, das andere im Ost-Sektor lag. Und es gab eine Vereinbarung, dass die sich nicht gegenseitig die Leute wegschnappen. Nur im äußersten Notfall wurde das gestattet. Und dann passierte folgendes: Die Staatsoper hatte eine wunderbare Traviata vorbereitet, mit Erna Berger, Peter Anders und Willi Domgraf-Fassbaender in den Hauptrollen. Und Fassbaender ist zwei Wochen vor der Premiere aus irgendeinem Grunde ausgestiegen. Da haben die von Staatsoper in höchster Not bei uns angerufen und gefragt, ob ich bereit wäre, in die Bresche zu springen. Nun kannte ich von der Partie nur die Arie, aber den Rest hab ich mir in den 14 Tagen eingebimst. Es wurde ein großer Erfolg, die Inszenierung ist lange gelaufen, und auf einmal war ich mit einem Bein in der Staatsoper. Eine Zeitlang war ich an beiden Häusern, mit je zwanzig Abenden. Das war ein Ausnahmefall, den die Alliierten geduldet haben. Sonst haben sie oft dazwischengefunkt.
Rosvaenge, Novikova und die Rückenstütze
In Wien hatten Sie zwar schon 1949 gastiert, aber regelmäßig zu Gast waren Sie dort ab 1952/53.
Mein erstes Wien-Gastspiel war Anfang Juni 1949, eine Rigoletto-Vorstellung mit Karl Friedrich und Emmy Loose. In Wien kannte mich natürlich kein Mensch, aber nach der Arie gab es einen Orkan von Beifall. Ein paar Tage später war auch Günther Treptow eingetroffen, der mir zu diesem Gastspiel verholfen hatte. Und dann war da die Mezzosopranistin, wie hieß die noch… Millowitsch hätt ich jetzt bald gesagt.
Georgine von Milinkovic.
Genau. Mensch, war das eine reizende Kollegin. Die beiden haben mich zum Heurigen geführt. Das war natürlich was ganz Neues für mich, ich hab das süffige Zeug runtergeschüttet wie Bier und bin danach im Hotel ins Koma gefallen. Der Direktor der Staatsoper war zu dieser Zeit Franz Salmhofer, ein Komponist und Theater-Faktotum. Und ein Schlawiner. Aber der wichtigste Mann der Oper war der im Ministerium, Egon Hilbert. Und mit seiner hohen Stimme sprach der auf mich ein: „Bitte Sie müssen Sie von Ihrem Berliner Vertrag drei Monate frei machen für uns. Sie müssen!“ Und ich blöder Hammel, da war ich noch so doof und wusste nicht, dass man sich in Wien jedes Versprechen schriftlich geben lassen muss. Denn ich hab in Berlin den Tietjen gefragt, ob er mir so lange frei gibt, und das war ja noch vor unserem Holländer in London, als ich noch persona non grata war. Und spätestens da hatte ich bei ihm natürlich ausgespielt. Und obendrein hab ich von Wien nichts mehr gehört, gar nichts. Und inzwischen war dort George London angekommen und hochgegangen wie eine Rakete. Der war damals in Höchstform, das war sensationell. Und so ist mein Gastspiel in Vergessenheit geraten. Erst 1952 kam wieder eine Anfrage aus Wien, diesmal für Die Macht des Schicksals. Böhm war unglücklich mit dem Sänger des Carlos, die brauchten einen Bariton. Nach der Arie haben die mich fast in Stücke gerissen vor Begeisterung. Und wieder kam Hilbert an: „Verehrtester, jetzt müssen Sie aber hier bleiben!“ Und dann war ich sieben Jahre regelmäßig an der Staatsoper. Konkret bedeutete das: je 20 bis 25 Abende in Westberlin, in Ostberlin, in Hamburg, in München und in Wien. Und dazwischen jede Menge Aufnahmen. Können Sie sich also ungefähr vorstellen, was ich zu tun hatte.
Viele Ihrer Kollegen, die jahrzehntelang in Wien gesungen haben, sagen, dass die Nachkriegsjahre im Theater an der Wien die schönsten gewesen seien. Außerdem hätte man dort besser geklungen. Welchen Eindruck hatten Sie?
Auch ich habe mich im Theater an der Wien wohler gefühlt. Erstmal wegen des Repertoires. Da wurde das ganze italienische Repertoire auf deutsch gesungen. An der wiedererbauten Staatsoper hat Karajan dann die Originalsprache durchgesetzt und für das italienische Repertoire lauter Gäste von der Scala geholt. Außerdem waren die Sänger im Theater an der Wien etwas ganz Besonderes. Die Ljuba Welitsch zum Beispiel. Oder Helge Rosvaenge, Das war unvergesslich und unverkennbar. Das gab’s eben nur in Wien, später wurde das alles austauschbar.
Mit Rosvaenge erlebte ich folgendes: Wir teilten uns eine Garderobe, und da hab ich ihm natürlich gesagt, wie sehr ich ihn bewundere und dass wir uns damals in Berlin lange angestellt haben, um Karten für seine Vorstellungen zu bekommen. Darauf sagte er mir: „Wenn Sie so eine hohe Meinung von mir haben, dann gestatte ich mir als älterer Kollege, Ihnen einen Rat zu geben. Sie sind ja schon international bekannt, und Sie werden Weltkarriere machen. Aber da ist etwas, das Sie meiner Meinung nach lernen sollten: Die Atemstütze nach hinten zu führen statt sie vorne zu halten.“ – „Ja, aber im Rücken hab ich doch nicht dieselbe Kraft.“ – „Doch, die haben Sie. Jetzt singen Sie mit der falschen Kraft. Und die geht peu a peu verloren. Aber wenn Sie das richtig machen, kriegen Sie eine neue, eine elegantere Kraft. Und wenn Sie daran arbeiten, garantiere ich Ihnen, dass Sie noch zwei Töne höher kommen, als Sie jetzt schon mit Ihrer verrückten Höhe kommen. Und, dass Sie mindestens fünf Jahre länger singen.“
Das hat mir natürlich lange zu denken gegeben. Drei Tage später treffe ich Martha Mödl, Lobl Frick und Rudi Schock. Wir hatten ja denselben Agenten, und der hat immer versucht, die Abende in Wien so zu legen, dass wenigstens zwei von uns zusammen auf der Bühne waren. Denn in Wien allein zu sein, das ist gar nicht so lustig. Wir vier haben uns getroffen, und mit dabei war auch die Hilde Güden. Und die sagte uns: „Da ist jetzt eine berühmte russische Gesangslehrerin aus New York angekommen, die hält hier einen Vortrag über Gesangstechnik. Paola Novikova heißt sie. Wir sind alle eingeladen, da hinzugehen.“ Lobl Frick brummelte: „Nee, was soll ich da?“ Auch die Mödl wollte nicht, und ich auch nicht. Sagte Rudi: „Gut, dann opfere ich mich. Ich gehe hin, sonst sagen die wieder: Jaja, diese Deutschen…“ Abgemacht. Rudi ging zu der Veranstaltung, und wir warteten auf ihn in der Weinstube. „Und, wie war’s?“ – „Ach“, sagt er, „eigentlich ganz interessant. Aber das Verrückteste, das haltet ihr nicht für möglich. Die predigt, dass man nach hinten stützen soll!“ Sage ich: „Moment mal, dasselbe hat mir der Rosvaenge gesagt.“ – „Na, und ihr derzeitiger Musterschüler ist George London“, sagt Rudi, „also, so abwegig kann diese Methode nicht sein!“
Zwei Tage später ging das Telefon: Betriebbüro, Ernst-August Schneider. „Komm Junge, du musst mir einen Gefallen tun. Ende nächster Woche bringen wir eine Wiederaufnahme von Margarete, und zwar in der Volksoper. Mit einer Bombenbesetzung: Rosvaenge singt den Faust, Esther Rethy das Gretchen und George London den Mephisto. Da fehlt uns noch ein toller Valentin.“ – „Tja, ich kenne aber nur die Arie!“ – „Ach, den Rest lernst du schnell, das schaffst du!“ Ok, ich hab zugesagt, lernte das Zeug und ging die Partie mit dem Korrepetitor durch. Und dann, einen Tag vor der Vorstellung, merkte ich ein Kratzen in der Luftröhre. Auch das noch! Also schnell zum HNO der Staatsoper, zu Doktor Kriso. Er guckt mir in den Hals und meint: „Das ist nicht schlimm. Die Stimmbänder sind frei, Sie haben nur eine leichte Rötung im Eingang der Luftröhre. Gehen Sie möglichst nicht nach draußen. Im Sommer ist hier immer etwas Staub und Sand in der Luft. Kommen Sie noch mal vor der Vorstellung, dann kriegen Sie ein Tröpfchen auf die Stelle, und dann wird’s schon gehen.“ Abends bin ich in der Pension, nehme ein Bad, und wie ich mich bücke und dabei singe, stelle ich fest: „Mann, das ist ja ein enormer Klang!“. Und der Bauch war verschwunden, durch das Bücken. Da fiel mir sofort die Geschichte mit dem „Rückenstützte“ ein. Und dann wollte ich es wissen! Also, bei der Vorstellung habe ich mich während meiner Arie mit dem Rücken an der Wand abgestützt. Ich fühlte mich wohl und dachte: Die Töne knallen zwar nicht so wie sonst, aber sie gehen wunderbar weg. Nach der Arie rasender Beifall. Lobl und Rudi waren im Zuschauerraum. Und die beiden wussten, dass ich etwas angekratzt war und sagten: „Na, lief doch prima, von entzündeter Luftröhre keine Spur!“ Sage ich: „Jaja, aber war es denn auch laut genug?“ – „Ja, Himmelherrgott noch mal“, donnert der Lobl, „wie laut willst du denn noch schmettern! Die Töne sind gekommen wie Granaten!“
Als Rudolf Bing noch Natron nahm
1951 kam ein gewisser Rudolf Bing nach Berlin und schaute sich auch eine Vorstellung an der Städtischen Oper an. Nomen est omen: Es war Die Macht des Schicksals. Wieder so ein Zufall – oder Bestimmung, je nach Standpunkt.
Ich muss voranschicken, dass diese Produktion, nachdem Fischer-Dieskau ausgestiegen war, auch einen anderen Dirigenten bekam. Das war, anstelle von Ferenc Fricsay nun Leo Blech. Blech war Jude, aber Göring hat ihn bis 1936 noch schützen können, zu dieser Zeit waren Walter, Klemperer und Kleiber schon längst emigriert. Aber dann ging es nicht mehr, und Blech ist nach Schweden ausgewandert. Als er zurückkehrte, war er schon achtzig, aber immer noch wachsam wie ein Schießhund. Wehe, wenn Sie mal geschmissen haben, das gab dann ein richtiges Nachspiel. Eines Tages hieß es: Rudolf Bing, der neue Chef der Metropolitan Opera, reist durch Europa, um sich Sänger anzuhören. Er war in Mailand, Wien und München gewesen, und Berlin war die nächste Station. Dort war er zu Beginn der 30er Jahre, an der Städtischen Oper die rechte Hand von Carl Ebert gewesen, als Sekretär im Betriebsbüro. Zu der Zeit dirigierte Blech oft an beiden Häusern. Nach der Machtübernahme der Nazis sind Ebert und Bing ausgewandert und haben das Glyndebourne Festival gegründet. Ja, und dann hieß es, Bing wollte sich die Macht des Schicksals anschauen. Und das Blöde war: Bei der letzten Vorstellung hatte ich geschmissen. Darüber war Blech so böse mit mir, dass er sagte: „Vor der nächsten Aufführung kommst du mit deinem Klavierauszug, und dann werden wir diese Stelle proben!“ Das ist mit das Schlimmste, was einem im Theateralltag passieren kann. Also bin ich zu ihm hin, hab mich entschuldigt. „Die Noten kannst du einstecken. Ich weiß, dass du heute nicht schmeißt. Aber ich musste dir mal ein hartes Wort sagen, das ist nur zu deinem Besten. Außerdem musst du heute sehr gut sein. Der Herr Bing sitzt im Zuschauerraum, und wenn du ihm gefällst, wird er dich an die Metropolitan engagieren.“ – „Um Gottes Willen, mit so was soll man nicht scherzen!“ – „Ich scherze nicht. Du wirst an meine Worte denken. Ich kenne Bing. Er wird dich engagieren.“ – „Ja, und wenn er nun Sie engagiert?“ – „Nein, das wird nicht passieren. Ich bin ein alter Mann, und ich will nicht mehr hier weg. Und außerdem kannte ich Bing ja schon, als er noch Natron nahm und nicht nach Karlsbad reiste!“
Schöne Pointe.
Den Spruch hab ich mein Leben lang nicht vergessen! Und man kann sich vorstellen, dass Blech Recht hatte: Er kannte ihn noch als Bürofritzen, und jetzt sollte er womöglich „Herr Direktor“ sagen… Kurz und gut: An diesem Abend war ich prima bei Stimme, und Bing bot mir einen Vertrag für die Met an.
Welchen Eindruck machte Bing auf Sie?
Einen sehr guten. Er hatte tadellose Manieren, war groß, schlank und vornehm. Ein Herr aus gutem Hause. „Herr Metternich“, sagte er bei unserer ersten Unterhaltung, „ich habe gestern nicht schlecht gestaunt. Da bin ich quer durch Europa gereist, um dann in Berlin eine italienische Stimme zu hören. Sie sind prädestiniert für das italienische Fach. Und deshalb möchte ich etwas wagen, was es bisher noch gegeben hat. Sie sollen der erste Deutsche sein, der an der Met Verdi singt. Aber, das kann ich nicht auf offiziellem Wege tun, damit komme ich bei unserer Bühnengenossenschaft nicht durch. Die werden sagen, dass Deutsche Wagner und Strauss singen sollen. Und ich brauche deren Zustimmung, damit Sie Ihr Visum bekommen. Aber ich werde mir etwas einfallen lassen, Sie werden von mir hören.“
Das dauerte dann fast zwei Jahre. Zuerst kam ein Telegramm: „Anbiete Tannhäuser Wolfram alternierend mit George London. Brief folgt.“ Und im Brief stand: „Studieren Sie Forza, Trovatore und Ballo in der Originalsprache ein. Anschließend diesen Brief bitte vernichten.“
Im November 1953 war es dann soweit. Ich bin mit dem Flugzeug rüber, wohnte dort, wo alle deutschen Künstler untergebracht waren, im Hotel Alden am Central Park. Dort hatte ich ein nettes Zimmer im 16. Stock. Vom Fenster aus konnte man wunderbar die Liebespaare im Park beobachten. Am nächsten Tag wurde ich zu Herrn Bing gebeten. In seinem Büro waren seine engsten Mitarbeiter versammelt, Bob Herman und wie sie alle hießen. Und standen da mit betretenen Gesichtern. „Es tut mir wahnsinnig leid“, sagt Bing, „aber wir sind in einer schwierigen Lage. Wir können den Termin der Tannhäuser-Premiere nicht halten. Das wird frühestens Weihnachten sein. Aber nun haben Sie haben einen Vertrag, und wir müssen Sie bezahlen. Wir können uns nicht leisten, dass Sie hier die ganze Zeit im Hotel sitzen. Und da haben wir uns gedacht… Haben Sie schon mal La Forza del Destino in der Originalsprache gesungen?“ – „Nicht auf der Bühne, aber ich habe es für eine Rundfunksendung vorbereitet.“ – „Ja? Das ist ja wunderbar. Glauben Sie denn, Sie können die Partie Ende der nächsten Woche hier singen?“ – „Ja, das kann ich.“ – „Na Gott sei Dank. Sie müssen wissen, Leonard Warren ist nicht hier. Aber dank Ihrer Hilfe können wir die Oper dann doch bringen.“ Alle strahlten, damit war die Sache perfekt, und durch diesen Schwindel ist es mir geglückt, dass ich mein Met-Debüt als erster deutscher Bariton im italienischen Fach machen konnte.
Wie war das politische Klima damals in New York, wie wurden Sie als Deutscher behandelt?
Reserviert bis eiskalt. Der Pförtner grüßte nicht, guckte immer weg und tat so, als würde er gerade was Wichtiges machen. Mein Tenor-Kollege in La Forza del Destino war Richard Tucker, ein gläubiger Jude. Und jetzt passierte folgendes: Vor der ersten Aufführung – ich war sehr aufgeregt, hatte kaum geschlafen – klopft es an meiner Garderobentür. Eine Dame mittleren Alters, kräftig, sehr apart, sehr elegant gekleidet. „May I come in for a minute? I’m Mrs. Tucker. Just came here to wish you good luck!“ So etwas ist mir nicht oft im Leben passiert. Ich war wie vom Schlag getroffen. Die Aufführung lief sehr gut, und dann mussten Tucker, Milanov und ich vor den Vorhang. Nachdem wir uns verbeugt hatten, ließen Milanov und Tucker plötzlich meine Hände los, liefen von der Bühne und ließen mich allein da stehen. Auf diese Weise verschafften sie mir einen Solo-Vorhang. Vor der dritten oder vierten Aufführung gab es wegen einer Umbesetzung noch eine Probe. Da kam dieses Bild, wo der Tenor verletzt auf der Bahre liegt. Irgendwie hatte ich den Eindruck, dass sich Tucker bei dem Arrangement zu unserer Szene nicht ganz wohl fühlte, also hab ich ihn gefragt: „Mr. Tucker, excuse me, do you want me to come from the left or from the right side?“ – Das sei ihm egal, hat er gesagt, ich sollte mir darüber keine Gedanken machen. Und dann sagte er: “And by the way: My name’s Richard.“ Das ging natürlich wie ein Lauffeuer durch die Met: Der Tucker hat dem Deutschen das Du angeboten! Und als ich das Haus verließ, hat mich auch der Pförtner gegrüßt.
—————————————————————————————
CD-Hinweise
Beethoven, Fidelio (Pizarro)
– Werth, Anders, Frick, Otto; Fricsay; Genf 1951 (live), Line 2 CD
– Mödl, Windgassen, Edelmann, Schwarzkopf, Schock; Karajan; Wien 1953 (live/konzertant), Walhall 2 CD
Donizetti, Lucia di Lammermoor (Henry)
Köth, Schock, Frick, Töpper; Schüchter (Szenen); Berlin 1957, EMI CD
Humperdinck, Hänsel und Gretel (Peter)
Grümmer, Schwarzkopf, Schürhoff; Karajan; London 1953, EMI 2 CDs
Leoncavallo, Der Bajazzo (Tonio)
Schock, Muszely, Cordes, Schmidt; ZanotelliBerlin 1959; Berlin Classics CD
Offenbach, Hoffmanns Erzählungen (Coppelius, Dapertutto, Dr. Mirakel)
– Schock, Streich, Schlemm, Reith; Beecham Berlin 1950 (Gesang); London 1947 (Orchester), Walhall 2 CDs
Soundtrack zur deutschen Version des Filmes von Powell und Pressburger (London 1947)
– Schock, Streich, Wagner, Klose; Schüchter (Szenen); Berlin 1954, EMI CD
Puccini, Tosca (Scarpia)
– Martinis, Schock; Schüchter; NWDR 1953, Relief 2 CD
– Rysanek, Hopf; Kraus; BR 1953, div. Live-Labels 2 CD
Strauss, Salome (Jochanaan)
Wegner, Szemere, Milinkovic, Kmentt; Moralt; Wien 1952; Philips 2 CD
Strauss, Die Frau ohne Schatten (Barak)
Rysanek, Hopf, Schech, Benningsen; Kempe; München 1954 (live), Walhall 3 CD
Strauss, Arabella (Mandryka)
– Goltz, Schlemm, Witte, Pflanzl; Berlin 1950 (live), Walhall 2 CD
– Schwarzkopf, Felbermayer, Gedda, Schlott; Matacic (Szenen); London 1953, EMI CD
Verdi, Macbeth (Titelpartie)
– Mödl, Herrmann; Keilberth; Berlin 1950 (live); diverse Labels 2 CDs
– Varnay, Weber; Kraus; NWDR 1954, div. Live-Labels 2 CD
Verdi, Rigoletto (Titelpartie)
– Streich, Schock, Klose, Hoppe; Fricsay; RIAS 1950; div. Live-Labels 2 CD
– Köth, Schock, Frick; Schüchter (Szenen); Berlin 1954; EMI CD
Verdi, Der Troubadour (Luna)
– Hopf, Goltz, Malaniuk; Fricsay; NWDR 1953; Line 2 CD
– Schock, Muszely, Wagner; Schüchter (Szenen); Berlin 1958, EMI CD
Verdi, La Traviata (Germont)
– Ebers, Holm; Molinari-Pradelli; HR 1952, Walhall 2 CD
– Muszely, Schock; Schüchter (Szenen); Berlin 1958, EMI CD
Verdi, Die Macht des Schicksals (Carlos)
Martinis, Schock, Frick, Mödl, Neidlinger; Schmidt-Isserstedt; NWDR 1952, div. Live-Labels 2 CD
Verdi, Aida (Amonasro)
– Zadek, Höngen, Rosvaenge; Schmidt-Isserstedt; NWDR 1951; div. Live-Labels 2 CD
– Rysanek, Wagner, Schock; Schüchter (Szenen); Berlin 1955, EMI CD
Wagner, Der Fliegende Holländer (Titelpartie)
Kupper, Greindl, Windgassen; Fricsay; Berlin 1952, DG 2 CD
Wagner, Lohengrin (Telramund)
Schock, Cunitz, Klose, Frick, Günther; Schüchter; NWDR 1953, EMI 3 CDs
Wagner, Tristan und Isolde (Kurwenal)
Svanholm, Varnay, Thebom, Hines; Kempe; Met 1955 (live); Walhall 3 CD
Mahler, Lieder eines fahrenden Gesellen
RIAS-Sinfonie-Orchester, Ludwig (+ Lieder aus „Des Knaben Wunderhorn“); Preiser CD
Josef Metternich. Dokumente einer Sänger-Karriere.
Arien und Szenen aus Opern von Mozart, Rossini, Verdi, Gounod, Bizet, Offenbach und Wagner; div. Orchester und Dirigenten; Preiser CD
Josef Metternich singt
aus Opern von Rossini, Mozart, Marschner, Meyerbeer, Bizet, Tschaikowsky, Borodin, Verdi, Ponchielli, Giordano und Puccini; Schlemm, Fischer-Dieskau, div. Orchester, Fricsay u. a. (DG-Aufnahmen 1952-59); Preiser CD
Thomas Voigt (C) 2005, veröffentlicht in: