Thomas Voigt
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Music History

Karajan vs. Furtwängler

Ein Politikum im „Dritten Reich“

Meist nannte Furtwängler ihn nicht beim Namen, sondern sprach nur von „Ka“ – vor allem, wenn er Schlechtes argwöhnte. Wie im Sommer 1953, als er sich wieder einmal dem Vergleich mit ausgesetzt sah. War es Zufall oder schlechtes Karma, dass beide in der Festspielzeit 150 Kilometer voneinander entfernt s präsentierten? Furtwängler in Salzburg, und in München, mit einem Gastspiel seiner Scala-Produktion. Und in beiden Fällen sang Elisabeth die Partie der Elvira.

Wenige Tage nach der -Aufführung in München fand wieder eine Vorstellung in Salzburg unter Furtwängler statt. Nach dem Schlußvorhang, auf dem Weg zu den Garderoben nahm der rigent die Sopranistin zur Seite: „Na, welche Version haben Sie denn heute gegeben? e von Herrn Ka – oder meine?“ – „Aber Herr Doktor, Sie glauben doch nicht – selbstverständlich Ihre!“ – „Ja, ja, war ja nur Scherz, nur Scherz!“, lachte Furtwängler. „Aber das stimmte nicht“, resümierte die Jahrzehnte später, „ich spürte, er war kurz vorm Umkippen in den Wutanfall. Mehr als einmal habe ich solche Situationen bei ihm erlebt. war der ewige Stachel in seinem Fleisch. Und der saß tief.“ ( 1989) 

Was diesen Stachel hineingetrieben hatte, war ein Politikum, ausgelöst durch die berühmt-berüchtigte „Wunder-Kritik“, wahrscheinlich die beste PR, die je bekam und die noch Jahrzehnte später zitiert wurde, oft losgelöst vom damaligen politischen Kontext, quasi als Schlagwort für die phänomenalen Künste des Zauberers am Pult. Sie erschien nach s erster -Aufführung in Berlin am 22. Oktober 1938 in der BZ am Mittag und fiel durch folgende Headlines auf: 

Staatsrat s großer Griff 

In der Staatsoper: Das Wunder  

Der Autor dieser „Wunder“-Kritik war Edwin van der Nüll, Bártok-Experte, Musikwissenschaftler und Journalist, drei Jahre älter als . Nicht so sehr die überschwängliche Begeisterung für war es, was Furtwängler zu schaffen machte, sondern die Passage: „Was er gestern zeigte, grenzt ans Unbegreifliche. Ein Mensch von dreißig Jahren stellt eine Leistung hin, um die ihn unsere großen Fünfzigjährigen mit Recht beneiden dürfen.“ 

Das war eindeutig eine Spitze gegen ihn, sorgfältig vergiftet von zwei Männern, die nichts so sehr liebten wie Macht: Rudolf Vedder, Musikagent und SS-Mann; , Generalintendant der Preußischen Staatstheater, Staatsrat, Vertrauter s und Künstlerischer Leiter der . Beide hatten persönliche Gründe, Furtwängler zu „bestrafen“. Vedder hatte sich jahrelang darum bemüht, Furtwängler als Agent zu vertreten, doch hatte von ihm wiederholt eine Abfuhr kassiert: Furtwängler hielt weiterhin zu seiner Agentin Louise f und befand Vedder für schlichtweg unseriös. eser suchte daraufhin nach einem jungen hochbegabten rigenten, den er neben und gegen Furtwängler aufbauen konnte – und fand ihn in H

, Sohn einer Engländerin und eines deutschen plomaten, war ein Allround-Talent: rigent, Regisseur und vor allem gewiefter Manager. Von 1927 bis 1944 war er Generalintendant aller Preußischen Staatstheater und somit einer der mächtigsten Männer im Kulturleben des „Dritten Reiches“. Zudem war er, nach dem Tod Siegfried s im Jahr 1930, von Witwe Winifred zum Künstlerischen Leiter der berufen worden. Sowohl in wie auch an der Berliner Staatsoper war Furtwängler für immer wieder ein Ärgernis: er spielte nicht nach seinen Regeln, streute Sand ins Getriebe seiner perfekt organisierten Maschinerie. 

Da Furtwängler von , und als Künstler hoch geschätzt wurde und für Propagandazwecke als unverzichtbar galt, war es kein leichtes Spiel für Furtwängler in Misskredit zu bringen. Aber er hatte neben seiner Herzdame Winifred noch zwei Trümpfe in der Hand: Zunächst Furtwänglers Standpunkt, dass Musik, Literatur und Philosophie als „höhere Werte“ über Politik stünden und schon gar über jede Art von ktatur; damit machte er sich angreifbar bis hin zur Denunziation. Und dann wusste die Rivalität zwischen Hermann und Joseph für seine Zwecke zu nutzen; beide buhlten um die Gunst des „Führers“– und um die Vormachtstellung im Berliner Kulturleben. war Herr der Preußischen Staatstheater, somit auch der Berliner Staatsoper. unterstanden alle übrigen Kulturinstitute des Reiches, inklusive des Philharmonischen Orchesters Berlin, dass er zum „Reichsorchester“ umfunktionierte. Um auch auf dem Opernsektor etwas entgegenzusetzen, war er sehr auf das künstlerische Niveau der Städtischen Oper in Berlin-Charlottenburg bedacht und gab ihr den ursprünglichen Namen zurück: „Deutsches Opernhaus Berlin“. 

Das Wettrennen um die Präsenz Furtwänglers nahm bisweilen schon groteske Züge an: Kaum hatte Furtwängler zum Staatsrat ernannt, machte ihn zum „Reichskultursenator“. Zur Veranschaulichung der Machtverhältnisse und der besonderen Situation Furtwänglers in den beiden ersten Jahren des „Dritten Reichs“ möge folgende Chronik dienen.

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13. Februar 1933
Nazis demonstrieren gegen Otto Klemperer während einer -Aufführung in der Lindenoper. 

7. März 1933
Während einer Aufführung von an der Semperoper in Dresden wird Fritz Busch von einer Nazi-Gruppe ausgepfiffen und durch ein SA-Kommando „abgesetzt“. 

13. März 1933
e „Aufsicht“ der Schauspiel- und Opernhäuser übernimmt . setzt bei durch, dass die Preußischen Staatstheater, somit auch die Berliner Staatsoper, ihm allein unterstellt und damit dem Einfluss von entzogen sind.  

15. März 1933
Ein Gewandhaus-Konzert mit Bruno Walter wird im Auftrag des sächsischen Innenministeriums „verboten“. 

21. März 1933
Zum ersten großen Staatsakt des neuen Regimes, dem „Tag von Potsdam“, setzt eine Vorstellung der an, Furtwängler dirigiert.

23. März 1933
Der Reichstag verabschiedet das „Ermächtigungsgesetz“, damit sind Parlament und verfassungsmäßige Kontrollinstanzen außer Funktion gesetzt. 

1. April 1933
e NSDAP organisiert einen „Judenboykott“, der sich vor allem gegen Geschäfte, Ärzte und Anwälte richtet. 

7. April 1933
Mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ werden fortan  sämtliche Beamte durch die Partei kontrolliert, Gegner des Regimes, Oppositionelle und politisch „Unzuverlässige“ aus dem Staatsdienst entlassen. Zahlreiche namhafte Künstler verlieren ihre Anstellung, werden ins Exil getrieben. Über gelingt es , für einige Künstler der Staatsoper (darunter , Alexander Kipnis, Emanuel List, und Frida ) eine Ausnahmeregelung zu erwirken. 

11. April 1933
In der Vossischen Zeitung wird ein Protest-Brief Furtwänglers an veröffentlicht so wie die Antwort des Propaganda-Ministers.

Furtwängler schreibt u. a.: „Es muss daher klar ausgesprochen werden, dass Männer wie Walter, Klemperer, und andere auch in Zukunft in Deutschland mit ihrer Kunst zu Worte kommen müssen.“      

antwortet: „Es ist Ihr gutes Recht, sich als Künstler zu fühlen und die nge auch lediglich vom künstlerischen Standpunkt zu sehen. Das bedingt aber nicht, dass Sie der ganzen Entwicklung, die in Deutschland Platz gegriffen hat, unpolitisch gegenüberstehen. (…) Dagegen zu klagen, dass hier und da Männer wie Walter, Klemperer, usw. Konzerte absagen mussten, erscheint mir im Augenblick um so weniger angebracht, als wirklich deutsche Künstler in den vergangenen vierzehn Jahren vielfach überhaupt zum Schweigen verurteilt waren und die auch von uns nicht gebilligten Vorgänge in den letzten Wochen nur eine natürliche Reaktion auf diese Tatsache darstellen. Jedenfalls bin ich der Meinung, dass jedem wirklichen Künstler bei uns das Feld zur unbehinderten Wirksamkeit freigegeben werden soll.“ (zitiert nach Haffner. S. 154)

Juli 1933
ernennt Furtwängler in seiner Eigenschaft als Staatsoperndirektor zum Preußischen Staatsrat, mit Wirkung vom 15. September 1933. Furtwängler verspricht sich von diesem Posten eine stärkere Verhandlungsposition, z. B. wenn um seine jüdische Sekretärin Bertha Geißmar oder die jüdischen Musiker im Philharmonischen Orchester geht. 

8. August 1933
Adolf empfängt Furtwängler im Berghof am Obersalzberg. Laut Geißmar geraten die beiden bei allgemeinen künstlerischen Fragen aneinander und schreien sich zwei Stunden lang an. „Sobald er von dieser Unterredung nach München zurückgekehrt war, rief er mich in Berlin an. Er sagte, dass es ihm erst jetzt klar sei, was hinter s bornierter Einstellung stecke. Es sei nicht die Judenfrage allein, es sei seine feindliche Einstellung zu allen geistigen ngen“ (Geißmar, S. 96). 

15. September 1933
„Feierliche Amtseinführung“ der neuen Staatsräte, mit -Rede und Einzug in die Aula der Universität. Dort muss Furtwängler, zusammen mit den anderen Staatsräten, den Eid leisten, dass er sich „in unwandelbarer Treue zum Volk und seinem Führer, Adolf , der geschichtlichen Größe Preußens bewusst, für das neue Reich“ mit allen seinen Kräften einsetzen werde. 

26. Oktober 1933 
Das Berliner Philharmonische Orchester, in den vergangenen Jahren wiederholt insolvenzgefährdet, wird vom Staat als „Reichsorchester“ übernommen und seine Finanzierung sichergestellt. 

1. November 1933
Gründung der Reichsmusikkammer (RMK). Als Präsident wird Richard berufen, als Vizepräsident und Stellvertreter Furtwängler. Der erklärt nach dem Krieg: „Vizepräsident der RMK wurde ich, weil ich damals hoffen durfte, auf solcher gewissermaßen offiziellen Basis mehr durchsetzen zu können, als ich als Privatmann erreicht hätte. Man glaubte damals in Deutschland ja vielfach: erst wenn alle Anständigen sich um die Verantwortung drücken, werden die Nazis sich durchsetzen.“ (Riess, S. 56)

15. Januar 1934
Auf Veranlassung von unterschreibt Furtwängler einen Fünfjahresvertrag mit der Staatsoper. Damit er ist fortan zwei enstherren unterstellt: (Staatsoper) und (Philharmonisches Orchester). 

Juli 1934 
Rückwirkend zum 1. April 1934 wird Furtwängler „unkündbar auf die Dauer von drei Jahren“ Leiter der Berliner Philharmoniker. Seine Sekretärin Bertha Geißmar darf er weiter beschäftigen, jedoch nicht auf Kosten des Staates, sondern aus privaten Mitteln.

25. November 1934: „Der Fall Hindemith“
Nach diversen Angriffen us Nazi-Kreisen auf Paul Hindemith verteidigt Furtwängler den Komponisten in einem Beitrag, den er in der Deutschen Allgemeinen Zeitung veröffentlichen lässt. Darin der Satz: „Wo kämen wir überhaupt hin, wenn politisches Denunziantentum in weitestem Maße auf die Kunst angewendet werden sollte?“

2.-4. Dezember 1934: Furtwänglers Rücktritt
Bei einer -Aufführung in der Staatsoper gibt es, in Anwesenheit von und , demonstrativen Applaus für Furtwängler. Am nächsten Tag teilt Furtwängler mit, dass seinen Rücktritt erwarte, andernfalls werde ihm gekündigt. Furtwängler reicht über seinen Rücktritt als Staatsoperndirektor, als Leiter der Philharmoniker sowie als Vizepräsident der RMK ein.  

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s Haltung im „Fall Hindemith“ hat Misha Aster in seiner Chronik e bewegte Geschichte der Berliner Lindenoper im 20. Jahrhundert anschaulich beschrieben: „e wachsende Spannung wurde dadurch offenkundig, dass sich in der Auseinandersetzung um Hindemith nicht hinter seinen Operndirektor stellte, obwohl er selbst ein Freund und Unterstützer Hindemiths war; er ließ Furtwängler praktisch im Regen stehen. (…) reagierte nicht öffentlich auf Furtwänglers Abgang, der für den Intendanten ein riskanter, aber kalkulierter Triumph war. Er blieb anscheinend zuversichtlich, sein Haus könne ohne den selbstbewussten Pultstar auskommen.“  (Aster, S. 162)

Doch faktisch war die Staatsoper, die zu s Lieblingsspielplätzen gehörte, um eine Hauptattraktion ärmer. Da die Nazis bedeutende rigenten wie Fritz Busch, Otto Klemperer und Bruno Walter vertrieben hatten und aus Solidarität zu Furtwängler ebenfalls zurückgetreten war, stellte die Neubesetzung des Staatsoperndirektor-Postens ein durchaus akutes Problem dar.  

Solide Kapellmeister wie Robert Heger, Johannes Schüler oder Karl Elmendorff kamen als Nachfolger Furtwänglers nicht in Frage. Immerhin gab es noch einen rigenten mit Star-Status: Clemens in Wien, Freund und Lieblingsinterpret von Richard . Zehn Tage nach Furtwänglers Rücktritt bestellte nach Berlin, bot ihm einen Zehnjahresvertrag an. Und sagte zu. 

Doch s Plan, ihn nicht nur als Nachfolger, sondern als Herausforderer Furtwänglers aufzubauen, ging nicht auf. , der ebenso elegant wie arrogant sein konnte, lud sich in Berlin zu viel Arbeit auf, machte sich schnell Feinde – und scheiterte am Taktiker . Da bei der Berufung von übergangen hatte, war das Verhältnis zwischen Hausherr und Operndirektor von vornherein gespannt. Außerdem war , laut den Erinnerungen des Regisseurs „tief beleidigt, dass ihn, der selbst Kapellmeister war, bei einem sput über dirigiertechnische Fragen hochmütig abgefertigt hatte. Er schwieg und baute sein Überwachungssystem zu einem perfekten Apparat aus, die Trabanten arbeiteten lautlos, aber unablässig“. (Hartmann, S. 116).  

Zu diesem „Überwachungssystem“ gehörte laut Zeitzeugen eine Abhöranlage, mit der jederzeit kontrollieren konnte, was auf und hinter der Bühne gesprochen wurde. So kam es, dass er bei Proben plötzlich aus dem Nichts auftauchte und ins Geschehen eingriff. Wahrscheinlich war es auch nicht entgangen, dass und ihn hinter seinem Rücken als „Generaldilettanten“ bezeichneten.

Zu Beginn der Spielzeit 1936/37 schlug zurück. Auf Betreiben der Berliner Sänger, die sich durch das Ensemble zurückgesetzt fühlten, das aus Wien mitgebracht hatte, berief eine geheime Versammlung ein. Nach „diffamierenden Äußerungen“ über und seine Gattin, die Sopranistin Viorica Ursuleac, setzte als Operndirektor kurzerhand ab (Hartmann, S. 124). hatte sein Ziel erreicht, hielt wieder alle Fäden in der Hand. 

Somit gab es nur noch einen rigenten an der Lindenoper, der durch Können und Persönlichkeit das rigenten-Niveau des Hauses hoch hielt: . Mittlerweile 65 Jahre alt, gehörte er zum Urgestein der deutschen Musikszene. Er war 1906 an die Lindenoper gekommen und hatte dort bis 1933 2500 Vorstellungen dirigiert. Auf persönlichen Antrag s hin stand trotz jüdischer Herkunft ab 1933 unter dem Schutz s, frei nach dessen Devise „Wer Jude ist, bestimme ich!“  

Doch selbst konnte ihn nicht vor Angriffen aus „niederen“ Nazi-Reihen schützen; entschloß sich ebenfalls zur Emigration. Nach erfolgreichen Jahren als Erster Gastdirigent der Nationaloper in Riga entging er 1941, nach der Eroberung Rigas durch deutsche Truppen, knapp der Deportation. Auf Vermittlung von hin glückte ihm die Flucht nach Schweden. 

Hier und da konnte den rigenten-Notstand an der Staatsoper durch glanzvolle Gastspiele (etwa von Victor de Sabata) kaschieren, doch musste eine Lösung her. In seinem -Portrait hat , der Architekt von s Platten-Karriere, die damalige Situation folgendermaßen auf den Punkt gebracht: „Der mit allen Wassern gewaschene suchte verzweifelt einen neuen rigenten, wenn nicht gar einen Rivalen, den er gegen Furtwängler ausspielen konnte. Alle anderen rigenten hatten Berlin verlassen.“ ( / , S. 256).

Und Furtwängler? Nach seinem Rücktritt von allen öffentlichen Ämtern im Dezember 1934 hatte man ihm den Paß abgenommen, so dass er keine Angebote aus dem Ausland annehmen konnte. Er nutzte die Zwangspause zum Komponieren. e Frage zu emigrieren war und blieb im Grunde eine theoretische. Furtwängler war emotional, geistig und musikalisch zu sehr an Deutschland gebunden, wohlgemerkt an das Deutschland vor 1914. In seiner Schrift für das Spruchkammerverfahren 1946 „Über eine Beziehungen zum Nationalsozialismus“ erklärte er seinen Standpunkt wie folgt: 

  1. Ich wollte und konnte als Deutscher mein Volk, mein Publikum, meine Orchester, meine Musiker in der Stunde der größten Gefahr – als welche ich den Nationalsozialismus erachte – nicht im Stiche lassen.
  2. Ich hielt tatkräftige Arbeit an Ort und Stelle für wichtiger als mehr oder weniger ohnmächtige Proteste von außen…
  3. Ich hatte die deutsche Musik (…), die der ganzen Welt gehört, gegen den nationalsozialistischen Anspruch zu verteidigen. Ich war mir dabei bewusst, für sehr Viele der in Deutschland Verbliebenen ein Zentrum des Widerstandes gebildet zu haben, für sie der Repräsentant des alten Europa gewesen zu sein.“  

Sein Berliner Stammpublikum demonstrierte Solidarität: in der Musikhochschule Berlin-Charlottenburg wurden Unterschriften zur Wiedereinsetzung Furtwänglers gesammelt, Konzertbesucher reagierten auf seinen Rücktritt „massenweise mit der Rückgabe von Abonnements. bekam Anlaß zu ernster Besorgnis.“ (Prieberg, S. 201).

Am 28. Februar 1935 kam es zu einer Aussprache zwischen und Furtwängler; daraufhin gab der Propaganda-Minister eine Meldung an die Nachrichten-Agenturen heraus, derzufolge Furtwängler seinen Artikel zum „Fall Hindemith“ „als musikalischer Sachverständiger lediglich in der Absicht geschrieben habe, eine musikalische Frage vom Standpunkt der Musik aus zu behandeln. Er bedaure die Folgen und Folgerungen politischer Art, die an seinen Artikel geknüpft worden seien, um so mehr, als es ihm völlig fern gelegen habe, durch diesen Artikel in die Leitung der Reichskunstpolitik einzugreifen, die auch nach seiner Auffassung selbstverständlich allein vom Führer und dem von ihm beauftragten Fachminister bestimmt würde“. (zitiert nach Prieberg, S. 228f.) 

Furtwängler und hatten sich „arrangiert“ – so erschien es zumindest denen, die die Pressemitteilung beim Wort nahmen und nicht den Inhalt der Unterhaltung kannten, die der Meldung vorangegangen war. In besagter Schrift für das Spruchkammerverfahren 1946 hat Furtwängler den hauptsächlichen Streitpunkt wie folgt beschrieben:

„Bei Erörterung, auf welche Weise ich weiter in Deutschland tätig sein konnte, verlangte als erste Voraussetzung meine ausdrückliche und öffentliche Unterstellung unter die Kulturpolitik Adolf s. Gerade dies wies ich auf das Entschiedenste zurück; hatte ich doch im Kampf gegen diese Kulturpolitik meine Stellungen niedergelegt. Ich erklärte, dass ich als Künstler keine Instanz über mir anerkennen könne (…) Ich erklärte dem Minister weiterhin mit aller Deutlichkeit, dass ich meinerseits nur in Deutschland tätig sein könne, wenn ich als freier Mann ausschließlich meiner Kunst dienen, und sie unabhängig von aller Politik pflegen und durchführen könne.“

Das erste Philharmonische Konzert nach der Zwangspause dirigierte Furtwängler am 24. April 1935, begleitet vom demonstrativen Jubel des Publikums. Wenige Tage später meldeten die Zeitungen, dass er im Olympia-Jahr 1936 in den dirigieren werde (mit als Regisseur). Und schließlich ging Furtwängler auch durch die Tür, die ihm nach seinem Rücktritt als Operndirektor offen gelassen hatte: „Ich trage mich auch heute noch in der Hoffnung, Sie wenigstens später wieder, vielleicht als Gastdirigent, in meiner Oper zu sehen. Alles im Leben kann wieder eingerenkt werden. Ich habe Generalintendant beauftragt, Ihnen mitzuteilen, dass ich Ihnen bis auf weiteres Ihr volles Gehalt belasse. licken Sie bitte darin meinen Dank und meine Anerkennung für die an der Staatsoper vollbrachte Leistung.“ (zitiert nach Haffner, S. 193). 

Der Gastvertrag, den Furtwängler mit der Lindenoper schloß, sah zehn Abende an der Staatsoper vor – und war letztlich ein fauler Kompromiss. Als Konzertdirigent konnte Furtwängler gut „Gast“ sein: am Pult hatte er allein das Sagen. Nicht aber an der Staatsoper, wo er mal der Chef gewesen war, und schon gar nicht unter der Fuchtel von . Nach der dritten Aufführung der von inszenierten Neuproduktion des warf Furtwängler im November 1937 erneut das Handtuch – und verspielte damit das Wohlwollen s. Seine Ansage an Furtwängler ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Es war ja wohl wieder einmal an der Zeit, dass mir von Ihrer Seite neue Schwierigkeiten bereitet werden. Denn fast ein Vierteljahr sind die nge ja glatt gelaufen (…) Ich darf Sie bitten, sich ernstlich zu fragen, wie weit es sich mit Ihrer Würde vereinbaren lässt, (…) Ihre wirklich sehr spärliche Beteiligung an der Oper noch weiter zu kürzen, obgleich von demselben Institut jahrelang Ihr volles Gehalt empfangen haben, ohne einen Finger zu rühren. (…) Wie jeder von uns, so sind auch Sie schließlich in erster Linie Deutschland verpflichtet. Von mir aber können Sie nicht verlangen, dass ich termingemäß jedes Jahr einen Fall Furtwängler an der Staatsoper habe.“ (Emessen, S. 38f.).  

Unverhohlen schrieb seiner Freundin :  

„Der war mir geglückt, bis die Pultprimadonna, so wie 1936 den , Alles kaput (sic!) machte, dafür aber Berlin zu seinen Füßen liegen hatte. Es war die letzte Inscenierung, die ich in diesem Leben mit diesem Parfümeur R. s gemacht habe; 10 Jahre habe ich es versucht ihm Werktreue beizubringen, es wurde Publikumshypnose daraus und R. W. war der Dumme.“ (zitiert nach Prieberg, S. 291).  

Jetzt war die rigentenfrage für akuter denn je, da kamen der umtriebige Rudolf Vedder und sein Schützling ihm gerade recht. Aus Aachen hörte man ja nur Gutes über den damals jüngsten Generalmusikdirektor des Reiches, warum ihm nicht ein „Gastspiel auf Engagement“ an der Staatsoper anbieten? 

s Debüt am Pult der Berliner Philharmoniker hatte Vedder bereits eingefädelt: am 8. April 1938 dirigierte er eines der Sonderkonzerte. Am nächsten Tag berichtete Robert in der Deutschen Allgemeinen Zeitung: s „Leistung schlug geradezu wie eine Bombe ein“. Und Heinrich Strobel, einer der sachkundigsten Kritiker in Berlin, verglich ihn gar mit Victor de Sabata: „In der Tat, v. hat vieles Gemeinsame mit dem großen italienischen rigenten: die rhythmische Unerbittlichkeit, die unerhörte musikalische Energie und die Intensität der melodischen Formung.“ (Berliner Tageblatt, 10. April 1938).

Der Vergleich mit de Sabata war offenbar ein gutes Omen: die beiden rigenten lernten sich in Berlin kennen und wurden bald Freunde. Laut soll de Sabata nach s -Vorstellung in Berlin zu gesagt haben: „Merken Sie sich meine Worte. In den nächsten 25 Jahren wird dieser Mann die ganze Musikwelt beherrschen und ihr seinen Stempel aufdrücken.“ ( / , S. 257).

Dass es schon damals nicht an Selbstbewusstsein mangelte, zeigt die Vorgeschichte seines Operndebüts in Berlin: hatte dem Newcomer über seinen Assistenten und angeboten – woraufhin , ebenfalls über einen Mittelsmann, wissen ließ, dass er lieber , und dirigieren wolle. lenkte ein, und gab sein Staatsopern-Debüt am 30. September 1938 mit . „Er hat Berlin mit einem Schlag erobert“, schloß Strobel seine Besprechung im „Berliner Tageblatt“ am 1. Oktober 1938 – quasi als Vorbote zur „Wunder“-Kritik, die drei Wochen später in der BZ am Mittag erscheinen sollte. 

Dass einer Repertoire-Vorstellung des überhaupt so viel Platz eingeräumt wurde, erscheint Misha Aster, dem Chronisten der Lindenoper, als „fast so verdächtig wie der Inhalt von von der Nülls Artikel. ese Kritik, ihr Verfasser und die seltsame Aufmerksamkeit für die Vorstellung durch einen der wichtigsten Berliner Kritiker in einer der größten Zeitungen Berlins sind Indizien für eine weitergehende Verschwörung. (…) Solche Begeisterung in einem Klima strenger Pressezensur bestärkte nur den Verdacht sensationsheischender Intrige. (…) Das Herausstellen s als Herausforderer und e Furtwänglers auf so offene und ungewöhnliche Weise katapultierte den jungen rigenten ins musikalische Rampenlicht. (…) Vedder kannte von der Nüll, und von der Nüll kannte . (…) Mit einem atemberaubend kühnen Schlag schenkte der Artikel einen eigenen Pultstar, versetzte Furtwängler einen Schlag, verschaffte einen spürbaren Prestigegewinn gegenüber , bot einen Hebel, um den immer unruhigeren Furtwängler bei den Philharmonikern bei der Stange zu halten, fachte s Ehrgeiz weiter an und stärkte die Dominanz von Vedders musikalischem Talentstall.“ (Aster, Seite 175f.). 

War es tatsächlich eine „weitergehende Verschwörung“ oder war es nur die Berechnung eines Kritikers, der sich bei und dem allmächtigen lieb Kind machen wollte? Im Zuge der Entnazifierungsverhandlung Furtwänglers stritt jeden Einfluss auf von der Nüll ab. Am 11. Dezember 1946 schrieb er an seinen früheren Stellvertreter Prittwitz-Gaffron: „Ich bin in obiger Sitzung als Zeuge auch befragt worden, ob ich den Eindruck gehabt hätte, dass die ‚Wunder‘-Kritik von irgend einer Stelle ‚gelenkt‘ gewesen wäre. Ich habe das verneint, weil mir die offene, ehrliche Art von der Nülls noch in Erinnerung ist, der sicher sich nicht hätte ‚lenken‘ lassen, obgleich die Kunstbetrachter unter beschämendem Druck des Prop.-Min. standen; ich hatte damals den Eindruck, dass v. d. Nüll in ehrlicher Begeisterung und Enthusiasmus über die beiden Probegastspiele von ‚‚ und ‚‚ und selbstverständlich von keiner Seite beeinflusst, geschrieben hat.“ (zitiert nach Osborne, S. 160).

Am 2. Januar bestätige Prittwitz-Gaffron schriftlich, „dass Ihre Darstellungen, die Sie vor der Entnazifizierungskommission gemacht haben, vollinhaltlich den Tatsachen entsprechen. (…) e leitenden Kreise unseres Instituts waren sich über die positiven Qualitäten des Herrn von als rigenten ebenso einig, wie ‚entsetzt‘ über die marktschreierische Überschrift der damaligen Nüll’schen Kritik. (…)  Was nun die geradezu groteske Unwahrheit betrifft eines Zeugen, wonach Sie selbst oder Ihre beauftragten Herren den Kritiker von der Nüll mit Geld bestochen oder sonst wie unter Druck gesetzt haben könnten, so darf ich dazu sagen, dass Sie es waren, der eine eigene ‚Pressestelle der Staatsoper‘ nicht mehr wieder ins Leben gerufen haben um gerade zu vermeiden, dass Beeinflussungen irgendwelcher Art sich entwickeln könnten. (…) Von Seiten einiger Kritiker wurde des öfteren darüber Klage geführt, dass die Berliner Staatsoper im Gegensatz zu den dem Herrn Dr. unterstehenden Bühnen keine Pressebesprechungen eingeführt habe und sich von der kulturpolitischen Linie der amtlichen Opernpolitik entferne.“ (zitiert nach Osborne, S. 161f.).

Ganz anders als diese beiden Briefe, die im Berlin Document Center einsehbar sind, klingen die Erinnerungen von Furtwänglers Witwe: „Anton Nowakowski, der Organist der Staatsoper, war Ohrenzeuge, als (…) Edwin von der Nüll kommen ließ und ihm sagte: ‚Es wird Zeit, dass wir’s dem Furtwängler mal zeigen. Jetzt habe ich hier einen jungen rigenten, der ist großartig – na, das werden Sie ja selber hören, und ich bin sicher, dass Sie wunderbar schreiben werden. Aber bitte machen Sie auch eine kleine Bemerkung in die Richtung, dass er besser ist als Furtwängler.’“ (E. Furtwängler 1998).

Erhellend ist in diesem Kontext die eidesstattliche Aussage von Annalise Theiler, einer Kollegin von der Nülls, die vor der Entnazifizierungskommission am 17. Dezember 1946 verlesen wurde. Darin heißt es u. a., dass von der Nüll „von einem starken Geltungsbedürfnis erfüllt“ gewesen sei. „Er wollte – seiner Natur gemäß – nicht nur Kritiken schreiben, sondern das Musikleben durch streitbare Bekundungen richtunggebend beeinflussen. Es war nun ohne Zweifel so, dass Herr Dr. v. d. Nüll tatsächlich davon überzeugt war, dass der rigent die temperamentvolle Förderung verdiente, die er ihm angedeihen ließ. Herrn Dr. Furtwängler bezeichnete er mir gegenüber mehrmals als einen rigenten, der ‚der vorigen Generation angehöre‘, der zweifellos seine großen enste habe, der aber in seinen Augen dazu mehr oder weniger gezwungen werden müsse, einzusehen, dass ‚seine Zeit vorbei sei‘ und dass Menschen wie nun an der Reihe seien, Furtwängler (…) abzulösen. In diesem Sinne schrieb Dr. v. d. Nüll auch seine Kritiken. e in der sog. ‚Wunder-Kritik‘ geäußerte Ansicht, dass ‚die 50-jährigen sich an ein Beispiel nehmen sollten‘, war eindeutig an die Adresse Furtwänglers gerichtet und wurde von mir und von vielen anderen nicht nur so verstanden, sondern auch als grobe Taktlosigkeit.

Es war im ‚Dritten Reich‘ so gut wie unmöglich, auf eine solche Aufsehen erregende Weise für oder gegen etwas zu polemisieren, wenn nicht eine ‚hohe Stelle‘ diese Polemik mehr oder weniger unterstützte. Das war auch hier der Fall, und zwar habe ich diese Kenntnis von Herrn Dr. v. d. Nüll selber. Er hatte eine jungenhafte Freude daran, davon zu erzählen, in wie guten Beziehungen er zum Ministerium Hermann s stand. (…) Mir gegenüber äußerte er sich öfters dahingehend, dass dieser ‚Kampf für ‚ bzw. dieser ‚Kampf gegen Furtwängler‘ (…) mit Unterstützung der Kreise um Hermann vor sich ging, d. h., dass er, Nüll, in diesen Kampf von den genannten Kreisen nicht nur ermutigt wurde, sondern dass es sozusagen die eigene Sache des ‚Hermann-Ministriums‘ sei, wenn gegen Furtwängler ausgespielt werde.“ (zitiert nach: Lang, S. 19f.).  

Über Nacht war zum Rivalen Furtwänglers geworden. Am 9. November 1938 dirigierte er seine zweite -Vorstellung in Berlin. Als er am Morgen nach Aachen zurückfuhr, waren die Straßen mit Scherben übersät, aus ausgebrannten Gebäuden stieg der Rauch. Es war der Tag nach der sog. „Kristallnacht“; sie markierte den Übergang von der skriminierung zur systematischen Verfolgung und Ermordung der Juden. 

Zu diesem Zeitpunkt hatte bereits ein attraktives Angebot von in der Tasche: Eine von Gustaf Gründgens besorgte Neuinszenierung der im Dezember und die Welturaufführung von Rudolf -Regenys e Bürger von Calais im Januar 1939. In seiner -Biographie stuft Richard Osborne -Regenys Werk als „eines der bewegendsten und vollkommensten Antikriegstücke der Opernliteratur“ ein (S. 170f.); wenig später dirigierte in Aachen die dortige Erstaufführung des „Friedenstag“ von Richard

Am 20. April 1939, dem 50. Geburtstag des „Führers“, wurde zum „Staatskapellmeister“ ernannt. Ein rascher Aufstieg, den Furtwängler offenbar mit Argusaugen verfolgte. „Längere Unterredung mit Furtwängler“, notierte am 11. Mai 1939 in sein Tagebuch. „Es ist immer das alte Lied. Er hat tausend Beschwerden (…) Aber er hat recht, wenn er sich dagegen wehrt, dass der rigent mit seinen 30 Jahren ihm in der Presse gleich- oder gar übergestellt wird. Ich werde das auch in Zukunft verhindern.“ (zitiert nach Haffner, S. 261).

Drei Wochen später, am 2. Juni 1939, fiel bei in Ungnade. Es war eine Vorstellung der , eine Festaufführung zum Staatsbesuch vom Prinzregenten Paul und Prinzessin Olga von Jugoslawien. Laut war der Sänger des Sachs betrunken, und so hatte , der wie gewöhnlich auswendig dirigierte, „offensichtliche Schwierigkeiten damit, die Gedächtnisfehler des umnebelten Titelhelden sowie dessen falsche Einsätze auszubügeln. verließ das Theater in größter Wut und weigerte sich, je wieder eine Aufführung unter mit seiner Anwesenheit zu beehren.“ (/, S. 256).

In seinem Tagebuch notierte : „beklagt sich bitter über das schlechte rigieren von am Abend vorher in der Staatsoper. Er hat ein feines Ohr für Musik, und ich bin glücklich, dass er so etwas gleich merkt. Er stellt Furtwängler über alle anderen rigenten. Mit Recht. mit ihm zu vergleichen ist eine Frechheit.“ (zitiert nach Haffner, S. 271).

Überzeugt davon, das Auswendig-rigieren des „eitlen Fanten“ sei Schuld an den musikalischen Pannen, ließ dem Generalintendanten mitteilen, was er vom „Wunder “ hielt. handelte umgehend, entzog die . Nachdem etwas Gras über die Sache gewachsen war, beauftragte er mit der musikalischen Leitung der Neuinszenierung der im Februar 1940. Der Komponist, auch als rigent eine absolute Ausnahmeerscheinung, wohnte der Premiere bei, war voll des Lobes für und gab ihm am nächsten Tag einige Ratschläge, die dieser später in Interviews gern zitierte. 

Im März 1941 gastierte mit der Staatsoper in Rom (und bot zum Ausklang eine lautstark bejubelte Vorstellung der ), zwei Monate später in dem von den Nazis besetzten Paris. Es war jene -Aufführung, die der wunderbaren Isolde, Germaine , nach 1945 zum Verhängnis werden sollte. 

s Erfolge als Staatsopern-rigent musste Furtwängler wohl oder übel hinnehmen. Doch noch konnte er dafür sorgen, dass der junge Aufsteiger nicht zu viel Präsenz in der Philharmonie bekam. Es reichte schon, dass ausgerechnet Tschaikowskys Pathetique mit den Philharmonikern aufgeführt und für Polydor aufgenommen hatte. Das war eine Provokation, die wahrscheinlich wieder auf Vedders Konto ging: Furtwängler hatte dasselbe Stück ein Jahr zuvor mit den Philharmonikern aufgenommen, und mit der Veröffentlichung von s Aufnahme war ein erneuter Vergleich unvermeidlich. 

Auf Furtwänglers Versuche, von den Philharmonikern fernzuhalten, reagierte Vedder mit einem Ausweichmanöver: wenn die Philharmonie verwehrt blieb, dann sollte er eben mit dem Orchester der Staatsoper, der Berliner Staatskapelle, eine eigene Konzertreihe an der Staatsoper dirigieren. ließ sich auf den Handel ein. ese Konkurrenz-Situation konnte ihm nur recht sein. Im Gespräch mit Robert Vaughan erinnerte sich später: 

e Sache entwickelte sich zu einer Art Hahnenkampf, bei dem man entweder auf Furtwängler oder mich wettete. In den Zeitungen stieß man auf Kleinanzeigen wie: ‚Suche zwei Karten für -Konzert; biete zwei Furtwängler-Karten‘ oder ‚-Abonnement gegen fünf Zwiebeln gesucht’“ (Vaughan, S. 164).  

Als nächstes versuchte Vetter, den jungen Konzertmeister der Philharmoniker, den 20jährigen Gerhard Taschner, für die Staatskapelle abzuwerben. Als dies Furtwängler zu Ohren kam, ließ er seine Kontakte spielen und erwirkte, dass Vedder von der RMK ausgeschlossen wurde. 

„In Vedders Handeln lag Hybris, und sein grenzenloses Selbstvertrauen war schließlich sein Untergang“, resümiert Misha Aster in seiner Chronik der Lindenoper. „Der Ausschluss aus der RMK kam einem Berufsverbot gleich. Ohne ihre Erlaubnis konnte er seine musikalische Macht nicht aufrechterhalten. Es war das Frühjahr 1942. Wie bei Furtwänglers Konfrontation mit dem Regime 1934 (…) blieb auch diesmal auf stanz zu seinem ehemaligen Partner. Dank des Agenten hatte die Staatsoper bekommen und am Aufbau seines Mythos mitgewirkt. e Kooperation war fruchtbar gewesen, aber der Realpolitiker wusste, wann er einen Schlußstrich ziehen musste. Obwohl Vedder heftig gegen seine Kaltstellung kämpfte, blieb er bis Kriegsende vom deutschen Musikleben ausgeschlossen.“ (Aster, S. 183f.)

Dass nach seinem letzten Auftritt als GMD in Aachen in s Karriere „Funkstille“ herrschte, dass er ohne ein Engagement beim Maggio Musicale Fiorentino „völlig arbeitslos“ gewesen wäre, hatte noch andere Gründe als das berufliche Aus seines Agenten. Das Verhältnis zwischen und war nicht mehr so entspannt wie früher, und inzwischen wurde auch der „Wunder“-rigent zu den „Schwierigen“ gezählt. „Herr von hat Neigungen zur ‚Filmdiva‘ und macht uns Schwierigkeiten, die bei leichtem Willen gut zu beheben wären“, schrieb s Stellvertreter Prittwitz-Gaffron Ende Januar 1943 an Richard  (zitiert nach Osborne, S. 211).

Kurz zuvor war die wiederaufgebaute Staatsoper mit den n wiedereröffnet worden. Doch nicht stand am Pult, sondern Furtwängler. Als auf diese Entscheidung ansprach, antwortete dieser nüchtern: „Wenn Furtwängler in dieses Haus zurückkommt, verlassen Sie es durch die Hintertür. Versuchen Sie gar nicht erst das zu verstehen. Das ist hohe Politik.“ (Vaughan, S. 165).    

Hinzu kam, dass im Oktober 1942 eine „Vierteljüdin“ geheiratet hatte, die Fabrikantentochter Anita Gütermann. Woraufhin von oberster Stelle eine Untersuchung des Falles angeordnet wurde. eser musste sich einem Verhör unterziehen, das damit endete, dass er seinen Austritt aus der NSDAP erklärte. Osborne vermutet, dass sein „Austrittsgesuch“ seinerzeit von abgewiesen wurde. Der Minister „konnte ebenso wenig gestatten aus der NSDAP auszutreten (…) wie er es sich leisten konnte, ihn in die Wehrmacht einzuberufen. Aber er konnte ihn bestrafen, und die Strafe, die er ihm zugedacht hatte, war so raffiniert wie grausam. (…) Seine Gagen wurden gekürzt und seine künstlerischen Forderungen ignoriert. e Arbeit, die er bekam, reichte nicht aus, um seinen Hunger nach Musik zu stillen, aber sie genügte, um weiterhin auf ‚ privatem Schachbrett mitzuspielen, als überzähliger Bauer, den man vielleicht noch einmal einsetzen konnte, um den König – oder einen der Läufer – der rigentenwelt in die Ecke zu drängen.“ (Osborne, S. 216f.)  

Anfang 1945 schien es, als sollte es noch einmal zum Schlagabtausch kommen. Es ging um die Berliner Erstaufführung von Sutermeisters Klavierkonzert. Der Komponist hatte Furtwängler die Aufführung versprochen, hatte dafür vorgesehen. Doch das Konzert fand nie statt. Am Abend des 24. Januar verließ Furtwängler Berlin, fuhr mit dem Nachtzug nach Wien. Von dort reiste er in die französische Schweiz, zu seinem Freund John Knittel nach Clarens am Genfer See. Dort wohnte er die restlichen Jahre seines Lebens. e Zeit bis zur Aufhebung des Auftrittsverbotes durch die Alliierten Ende April 1947 nutzte er hauptsächlich fürs Komponieren. Am 25. Mai 1947, nach fast zweieinhalb Jahren Pause, stand er wieder am Pult der Berliner Philharmoniker, im Oktober des Jahres dirigierte er im Admiralspalast, dem Ausweichquartier der Staatsoper. 

war, nach dem er mit seiner Frau Berlin am 18. Februar 1945 verlassen hatte, bis Kriegsende in Italien untergetaucht. Über Triest schlug er sich im Sommer 1945 nach seiner Heimatstadt Salzburg durch. Im Herbst des Jahres wurde er dort zum ersten mal von den Amerikanern verhört, weitere Verhöre folgten in Wien. Vor seinem ersten Konzert in Wien, am13. Januar 1946 wurde er von den Behörden buchstäblich in letzter Minute als „unbedenklich“ eingestuft. 

Zwei Tage später traf in Wien ein Engländer ein, dessen selbstbewusste „Künstler-Politik“ dafür sorgte, dass Furtwänglers Eifersucht auf neue Nahrung bekam: es war der Platten-Produzent . Er wollte die Gunst der unruhigen Zeiten nutzen, um in Wien Verträge für (später ) abzuschließen. Und er hatte doppeltes Glück: schon in der ersten Woche machte er Bekanntschaft mit zwei Künstlern, die in seinem Leben von zentraler Bedeutung werden sollten: und Elisabeth . e Behauptung, er habe beide „gemacht“, ist so abwegig nicht: in beiden Fällen waren s sorgfältig und kunstsinnig produzierte Aufnahmen sowie seine gewiefte Propaganda derselben die Basis für eine beispiellose Weltkarriere. Als Mentor war für so wichtig, dass sie die Bevormundungen und Demütigungen des Ehemannes (die beiden heirateten 1953) hinnahm. Für war das Beste, was ihm in dieser Zeit passieren konnte: ein Freund und Förderer, der vom gleichen Perfektionsdrang besessen war. Rückblickend kann man sagen, dass nach 1945 s einziger Partner auf Augenhöhe war, mehr noch: sein „künstlerisches alter Ego“ ( in einem Brief an ). Fünfzehn Jahre später war der Halbgott, dem sich alle nur noch in gebückter Haltung näherten.

Da auch Aufnahmen mit Furtwängler machte, war es unvermeidlich, dass die durch die „Wunder-Kritik“ verursachte Wunde sich bei Furtwängler von neuem entzündete. esmal waren es die und die Salzburger Festspiele. Wie zuvor in Berlin, achtete Furtwängler mit Argusaugen auf jeden Schritt, den in „seinem Revier“ machte. versuchte zu vermitteln, doch ohne Erfolg: „Ich lud beide, mit ihren Damen, zum Abendessen im Chambre séparée eines Salzburger Hotels ein, und die zwei Rivalen gelobten sich ewige Freundschaft. Früh am nächsten Morgen rief Furtwängler den rektor der Festspiele, Egon , zu sich und diktierte ihm einen Vertrag, demzufolge er jedes Jahr in Salzburg unter der Bedingung dirigieren würde, dass , solange Furtwängler lebte, von den Salzburger Festspielen ausgeschlossen werden sollte.“ (/, S. 265).

War es Enttäuschung, Revanche oder schlichtweg „nur“ Firmenpolitik, dass dann e mit Furtwänglers Salzburger Sänger-Team (, , , ) unter aufnahm? fasste die Situation wie folgt zusammen: „ hat favorisiert, und vom Standpunkt des Plattenproduzenten hatte er sicher dafür seine Gründe. Aber er hätte doch Furtwängler seine Würde lassen können.“ ( 1996)

Zum Beispiel nach der Wiedereröffnung der mit s Neunter unter Furtwängler im Juli 1951. zeichnete das Konzert für auf, wenige Tage später auch die Produktion der unter . „Gleich nach dem Konzert“, berichtete , „kam ins Künstlerzimmer. Und da ist man als Künstler ja noch völlig verletztlich. Und sagte dem Wilhelm ins Gesicht: ‚Na, das habe ich von Ihnen schon wesentlich besser gehört, Herr Doktor!‘ – Das hat so gesessen, dass Wilhelm abends nicht einschlafen konnte und sagte: Paß auf, da ist irgendetwas im Gange beim , da steckt was dahinter!“ (E. Furtwängler 1998).

Wie tief der Stachel der „Wunder-Kritik“ noch saß, verdeutlicht eine Passage in den Erinnerungen des s Otto Strasser: „Bei einer Schallplattenaufnahme demonstrierte mir Furtwängler seine übergroße Empfindlichkeit und leider auch seine so häufig auftretende Eifersucht. In einer Pause nahm er mich im Gang vor dem Kammersaal des Musikvereins beim Arm und fragte, was denn an den Schallplatten s so Besonderes sei, dass sie solchen Erfolg hätten. Ich war zunächst über diese direkte Frage etwas erschrocken, besann mich aber rasch und sagte ihm, dass gerade seine, Furtwänglers, Stärke, die Intensität der Empfindung, die Herrlichkeit des Klanges, die Großartigkeit der Steigerungen, auf der Platte nur mangelhaft zum Ausdruck käme, dass hingegen s Positivum, die Brillanz und die Präzision, hundertprozentig von der Platte wiedergegeben würde. Er war, wie mir schien, mit dieser Auskunft zufrieden; ich aber dachte mir, wie schwer er sich das Leben mache und wie grundlos noch dazu, denn seine Aufnahmen gehören, obgleich sie aufnahmetechnisch überholt sind, noch heute zum Schönsten vom Schönen“ (Strasser, S. 231).  

Was s Präsenz bei den Berliner Philharmonikern betraf, so gab sich Furtwängler zunehmend versöhnlich: „Ich möchte empfehlen, und durchwegs so viele Konzerte einzuräumen, als sie haben“, schrieb er am 2. April 1952 an den geschäftsführenden rektor des Orchesters (zitiert nach Haffner, S. 413). Vielleicht hatte er seine Haltung aus Reue für ein kt gegen in Salzburg geändert, vielleicht wollte er auch nach dem Konflikt im Jahr 1950 ( hatte ihm den Wiener Singverein für die Matthäuspassion verweigert) nicht weiter Öl ins Feuer gießen. 

Außerdem hatte er immer noch Hoffnung, dass sich der Konflikt zwischen den Berliner Philharmonikern und , nach dem Krieg Furtwänglers „Statthalter“ in Berlin, doch aus der Welt schaffen ließ. Denn Furtwängler wollte als seinen Nachfolger. Dass es anders kam, hatte auch mit der immer stärker werdenden Bedeutung des Tonträgermarktes zu tun. stand dem Medium Schallplatte noch wesentlich skeptischer gegenüber als Furtwängler, nannte die schwarzen Scheiben „tönende Pfannkuchen“. hingegen hatte die Möglichkeiten des Mediums, zumal der LP, sofort erkannt und so gut genützt wie kaum ein rigent nach dem Krieg.     

Furtwänglers Einstellung zur Platte hatte sich mit der -Aufnahme, die 1952 mit ihm produzierte, grundlegend gewandelt. Es war dies die erste Einspielung, mit der er wirklich zufrieden war. Als nächste Opern waren und der komplette geplant. Doch das nächste Jahr brachte eine Krise, die seinem Lebenswillen erlöschen ließ: sein Gehör begann nachzulassen. Zeitweise war die Behinderung so stark, dass er bestimmte Orchesterstimmen nicht mehr hörte. Zwar besserte sich sein Zustand während der Aufnahme der Walküre, die am 28. September 1954 in Wien begann; doch nach einer Kur in Gastein zog er sich eine Erkältung zu. Anfang November wurde er mit einer Bronchopneumonie in eine Klinik in Baden-Baden gebracht. „Alle glauben, ich bin hierher gekommen, um gesund zu werden“, sagte er zu seiner Frau. „Ich weiß, ich bin hierher gekommen um zu sterben.“ (E. Furtwängler 1986, S. 158)

Für ihn, der alle Kraft aus der Musik schöpfte, muss die Aussicht, das Gehör zu verlieren, unerträglich gewesen sein. starb am Morgen des 30. November 1954. H befand sich in Rom, als er von Furtwänglers Tod erfuhr. Kurz danach erhielt er ein anonymes Telegramm aus Wien: „Le roi est mort, vive le roi!“

(C) ; in franz. Übersetzung veröffentlicht in:
, (Hrsg.): Création, ssonance, Violence – La Musique et le politique, Montréal

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Literatur 

Aster 2017
Misha Aster: Staatsoper. e bewegte Geschichte der Berliner Lindenoper im 20. Jahrhundert. München 2017

Emessen 1947
Theodor Richard Emessen (Hrsg.): Aus s Schreibtisch. Ein Dokumentenfund. Berlin 1947

Furtwängler 1946
: Über meine Beziehungen zum Nationalsozialismus. Undatierte Denkschrift für das Spruchkammerverfahren 1946, in: RKK 2301/00003/01, Bl. 10-26.

E. Furtwängler 1986
: Über . Wiesbaden 1986 (3. Auflage)  

E. Furtwängler 1998
im Gespräch mit , Clarens 1998 Auszüge veröffentlicht in: Fono Forum 3.1999  

Geißmar 1985
Berta Geißmar: Musik im Schatten der Politik, Zürich 1985  

Haffner 2003
Herbert Haffner: Furtwängler. Berlin 2003

Hartmann 1978
, Das geliebte Haus, Mein Leben mit der Oper, München 1978 (dtv)  

Lang 2012
Klaus Lang: und seine Entnazifizierung. Aachen 201

/ 1982
, Elisabeth : Gehörtes. Ungehörtes. Memoiren. München 1982  

1996
im Gespräch mit und Stephan . Auszüge veröffentlicht in: 4.1996  

Osborne 2002
Richard Osborne: H. Leben und Musik. Wien 2002.   

Prieberg 1986
Fred K. Prieberg: Kraftprobe. im Dritten Reich. Wiesbaden 1986

Riess 1953
Curt Riess: Furtwängler, Musik und Politik. Bern 1953   

1989
Elisabeth im Gespräch mit , Zürich 1989   Auszüge veröffentlicht in einem Radio-Portrait des (1990)  

Vaughan 1986
Roger Vaughan: H. Ein biographisches Portrait. Frankfurt/Berlin 1986